[Federlesen] Warum liest du keine Gedichte? Auf der Suche nach einer Antwort

[Federlesen] Warum liest du keine Gedichte? Auf der Suche nach einer Antwort

warum-keine-gedichteVorletzte Woche stellte Tilman von 54Books die Frage, warum man keine Gedichte liest.
„Ja, warum eigentlich nicht?“, fragte ich mich, denn früher habe ich gerne Lyrik gelesen. Schuld war mein Deutsch-LK-Lehrer, der mit uns Heinrich Heines Deutschland. Ein Wintermärchen las und mich mein World Literature Paper (vergleichbar mit einer Seminararbeit für die Oberstufe) über Heine, Fried und politische Lyrik schreiben lies. Ich las auch nach dem Abitur weiter Gedichte, allerdings deutlich weniger als noch zur Schulzeit, bis diese Gewohnheit schließlich einschlief. Bis zu besagtem Artikel hatte ich bestimmt zwei Jahre keinen Gedichtband mehr in der Hand, der letzte war Blues in Schwarz Weiß von May Ayim. Das änderte sich schlagartig mit 54Books‘ Beitrag, ich kramte einen meiner Gedichtbände von Erich Fried hervor und las.

Trotzdem fehlte mir eine Antwort auf die Frage, warum ich (sehr lange) keine Lyrik las. In den Kommentaren zum Artikel finden sich verschiedenste Antworten. Eine Meinung, die gleich von zwei Lesern vertreten wird, ist die der verdichteten Literaturform:
„Lyrik ist, wie im deutschen Namen ja festgehalten, extrem verdichtete, destillierte und stilisierte Kunst. Meist komm ich darauf nicht klar.“ (Faby, Botschafter des Lächelns)
„Gedichte nerven mich, ich finde sie aufdringlich: schon durch ihre Form drücken sie mir aufs Auge wie extrem verdichtet und tiefsinnig sie sind, und dass ich nur etwas von ihnen habe, wenn ich sie bewusst und konzentriert interpretiere.“ (comp_lit_se)

lyrikdefinitionInteressanterweise ist es genau das, was ich an Lyrik spannend finde: eine Aussage, ein Gefühl oder Wahrnehmung verdichtet auf den Punkt gebracht. In Romanen markiere ich mit Post-Its besondere Zitate, meist Sätze, die für mich eine besondere Bedeutung haben. Bei Gedichten ist es ähnlich. Manchmal sind nur zwei Zeilen oder ein Vers genug, um die Aussage des Gedichtes zusammenzufassen, manchmal kann man die Pointe nicht abtrennen, sondern muss das Gedicht als Ganzes betrachten.
Doch warum habe ich jahrelang keinen Gedichtband zur Hand genommen, obwohl ich ein ganzes Regalfach damit gefüllt habe, klassisch wie moderner? Weil die meisten Gedichte eben nicht so deutlich und auf den Punkt sind. Sie sind verschnörkelt, in manchen Lyrikgenres unfassbar kitschig und nichtssagend, die Aussage ist bestenfalls verschwommen, und nicht selten muss diese sich der Lyrikform beugen. Ich kann nicht zählen, wie viele Gedichte ich las, die gefühlt ein, zwei Zeilen oder Verse zu viel hatten, die aber nötig waren, um die Rhythmik zu wahren. Gerade bei einer so verdichteten und oft knappen Literaturform wie dem Gedicht fällt Überflüssiges schneller und deutlicher auf. Das irritiert, schlimmer noch, langweilt mich. Für Langeweile fehlen mir wiederum Zeit und Geduld. Ich denke, das war einer der auschlaggebenden Gründe, warum meine Lyrikbände im Regal die sprichwörtliche zentimeterdicke Staubschicht ansetzten.

Comp_lit_se hat angemerkt, dass man von Gedichten nur etwas habe, wenn man sie bewusst interpretiere. Auch da ist zum großen Teil etwas dran. Im Gegensatz zu bspw. Romanen muss man Gedichte aufmerksamer lesen, und ich persönlich habe gemerkt, dass man auch eine gewisse Übung oder Routine braucht bzw. von Vorteil ist. Ist Lyrik zu anstrengend zu lesen um Spaß zu machen?
Teerdurchzogen schreibt in seinem Kommentar zwar: „Auch die Antwortmöglichkeit, Lyrik sei zu kompliziert, ist natürlich unhaltbar, allerdings wird zu kompliziert über Lyrik geschrieben.“ Ich denke allerdings, gerade die Komplexität und die befürchtete Kompliziertheit des Lesens und Verstehens von Lyrik schreckt viele Leser und Leserinnen ab, überhaupt Gedichte in die Hand zu nehmen. Diese Übung, diese Routine, Gedichte zu lesen und schnell einordnen zu können, erfordert regelmäßiges Lesen dieser Literaturform. Wenn diese einem in der Schule zu allem Überfluss auch npch verlitten wurde, ist es kaum verwunderlich, dass die Lyrik in Deutschland inzwischen ein so unscheinbares und vernachlässigtes Dasein fristet.

Die große Frage ist nun: Kann man, will man etwas gegen die Lyrikverdrossenheit tun, gerade im „Land der Dichter und Denker“?
Ich für meinen Teil habe beschlossen, mich peu à peu wieder meiner Lyriksammlung zu widmen und von Zeit zu Zeit darüber zu berichten. Es wird nicht mein Lieblings- oder Spezialgenre, aber wenn ich an Fried, Heine, Tucholsky denke, merke ich, dass mir Gedichte in der Vergangenheit genauso viel gegeben haben wie Romane aus unterschiedlichsten Genres. Warum also nicht auch darüber schreiben und meinen Leserinnen und Lesern diese Literaturform (wieder) näherbringen?

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