[Rezension] Susanne Kaiser – Politische Männlichkeit

[Rezension] Susanne Kaiser – Politische Männlichkeit

Titel: Politische Männlichkeit. Wie Incelös, Fundamentalisten und Autoritäre für das Patriarchat mobilmachen | Autorin: Susanne Kaiser | Verlag: Suhrkamp
Vielen Dank für das Rezensionsexemplar!

Incels, Männerechtler, Pick-Up-Artists und Rechte kommen in vielen Punkten überein, vor allem aber darin, dass Frauen minderwertig und keine gleichberechtigten Menschen seien, dass cis Männer unterdrückt werden und dass man die Revolution und Umkehr der Verhältnisse nur mit Gewalt und vor allem mit Gewalt an Frauen erreichen kann. 

Wie genau hängen Incels und Männerrechtler mit Amokläufern wie Elliot Roger, der sich Zutritt zu einer Studentinnenverbindung verschaffen wollte, und schließlich auf Passanten schoss? Wie wird in den Medien und der Politik über solche cis Männer und ihre Taten gesprochen? Welche Gefahr geht derzeit von diesen Gruppierungen aus, die sich vor allem über das Internet und einschlägige Foren miteinander vernetzen und radikalisieren?

Incels als Terrorismus einstufen

Susanne Kaiser stellt in Politische Männlichkeit die These auf, dass es sich bei Incels, Pick-Up-Artists und Männerrechtlern aus der Mannosphere um Terrorismus handelt, und dass dieser endlich so benannt und behandelt werden muss: “Dabei handelt es sich um eine Form des Terrorismus und somit um politische Gewalt (…), denn das Ziel der Akteure ist gemäß ihrer Ideologie eine neue Ordnung.” (S. 64) Das ist ein krasser Gegensatz zu sog. Experten wie Phil Gurski, für den “…Incels keine politische Bewegung (darstellen), genau genommen überhaupt keine Bewegung. Vielmehr handele es sich um eine große  Anzahl unverbundener Einzelpersonen, die kein Glück in der Liebe hätten.” (S. 88)

Dass dies eine krasse Fehleinschätzung der Subkultur ist, belegt Kaiser an einer schier endlosen Zahl an Beispielen aus Incel-Kreisen. Sie taucht dafür tief in die Welt der Incels hinein, analysiert, welche Auswirkungen die Pick-Up-Artists und ihr Frauenbild haben und welche Verantwortung sie tragen, und zeigt immer wieder, warum die Incel-Ideologie als Terrorismus eingestuft werden muss. 

Strukturelle Sexschulden und gekränkte Ansprüche

Kaiser untersucht auch, woher das Selbstverständnis von Incels, Pick-Up-Artists und Männerrechtlern eigentlich kommt, cis Frauen würden ihnen Aufmerksamkeit, Liebe, vor allem aber Sex schulden. 

Sie zitiert dafür Jess Hill: “Männer misshandeln Frauen nicht, weil die Gesellschaft ihnen sagt, dass das in Ordnung ist. Männer misshandeln Frauen, weil die Gesellschaft ihnen sagt, dass sie einen Anspruch auf Kontrolle haben.” (S. 95)

Aber es ist nicht nur der Anspruch auf Kontrolle. Es ist Anspruch, im Englischen Entitlement, an sich: Anspruch auf Frauen, Anspruch auf Sex, Anspruch auf Herrschaft über cis Frauen. Werde dieser Anspruch, diese Überzeugung, cis Frauen schuldeten cis Männern strukturell Sex (vgl. S. 103), gekränkt, komme es zur Gewalt.

Die Folgen gekränkter Anspruchshaltung

Politische Männlichkeit ist eins der wichtigsten Sachbücher im Bereich Feminismus und Gesellschaft. Die Ideologien der Incels mögen in ihrem Extrem erschreckend und verstörend erscheinen, doch wie bei allen autoritären, rechten, konservativen Ideen sickern Light-Varianten trotzdem in die Gesellschaft, schlagen dort Wurzeln und werden normalisiert. 

Schon heute müssen sich FLINTA im Alltag gegen cis Männer und ihren vermeintlichen Anspruch auf andere wehren. Seien es ungewollte Annäherungen, die oft nur bei “ich habe einen Freund” (ergo: ein anderer Mann hat bereits Anspruch auf mich) enden, Bewertungen und Objektifizierungen oder Beleidigungen, wenn man den Aufforderungen, doch etwas zu lächeln, nicht nachkommt. Die Anspruchshaltung von cis Männern gegenüber FLINTA ist in der Gesellschaft verwurzelt. Incels zeigen nur, welche Blüten die Kränkung dieses Anspruchs treiben kann und welche Gefahr von ihnen ausgeht.

Was Kaiser auf den über 260 Seiten nachzeichnet ist an Misogynie, Hass und Verachtung kaum zu überbieten. Die Gedankenwelt von Incels reicht von dem allgemeingültigen Anspruch auf Sex als Basis allen Denkens über gewalttätige Systemumstürze hin zu staatlich erlaubten Massenvergewaltigungen und die Verbringung von cis Frauen in Lager, wo sie zum Sex versklavt werden. Die Ordnung, die sich Incels vorstellen, ist eine düstere, dystopische, und in Anbetracht der jüngsten Entwicklungen in den Vereinigten Staaten, osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU, aber auch in Westeuropa nicht mehr so undenkbar. 

Noch ein Tipp

Derzeit gibt es das Buch für 4,50 € bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Und diese 4,50 € sind gut angelegt!

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