Buchempfehlung: Deutschland Schwarz Weiß

Buchempfehlung: Deutschland Schwarz Weiß

[TW: Im Text nenne ich drei, evtl. angreifende Worte in einer Aufzählung, die aus Sows Buch übernehme. Es steht auch nochmal ein Hinweise davor]

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Meiner Meinung nach gibt es vier Kategorien von Büchern: Zeitverschwendung, kann man gelesen haben, sollte man gelesen haben, muss man gelesen haben. Da ich wenig von Literaturkanons halte, deren Ersteller sich grundsätzlich für den Nabel der (Literatur-)Welt halten, ist die letzte Kategorie bisher recht leer. Ein Buch, das allerdings definitiv in die Muss-Kategorie gehört, ist zweifellos Deutschland Schwarz Weiß. Der alltägliche Rassismus von Noah Sow.

Ich habe das Buch Anfang des Jahres ein zweites Mal gelesen, und finde es auch 7 Jahre nach Veröffentlichung immer noch brandaktuell – Rassismus schläft nicht und er verschwindet auch nicht von selbst.
In diesem Buch beschreibt Sow unzählige Alltagsrassismen, die auch denjenigen Menschen oft genug entgehen, die sich mit stolzgeschwellter Brust als antirassistisch, aufgeklärt und selbstreflektiert bezeichnen. Sow weist u.a. auf sprachliche Aspekte hin, die ich hier kurz anreißen möchte. Es geht um Political Correctnes, und auch wenn dieser Begriff oft belächelt und als Gutmenschentum diffamiert wird, zeigt die Autorin in diesem Buch wunderbar, wie wichtig PC eigentlich ist. Nicht zu belächeln, es hat nichts mit Gutmenschentum zu tun, sondern mit Respekt und muss verdammt noch mal beachtet werden. Warum? Weil eine achtlose Sprache bzw. achtloser, ignorierender Sprachgebrauch Menschen verletzt und herabsetzt.
Es fängt an mit politisch korrekten Bezeichnungen. (Ich entschuldige mich an dieser Stelle für die nachfolgenden Worte) „Farbig“, „irgendwie braun“ oder „Halbschwarz“…klingt seltsam? Ist es auch. Politisch korrekte Beschreibungen wären Schwarz und Person/People of Colour (PoC) [S. 20].
Ein anderer wichtiger Punkt ist das N-Wort. Auch wenn manche Leute es immer noch ohne mit der Wimper zu zucken benutzen, ändert es nichts an der Tatsache, dass es beleidigend ist und aus dem aktiven Wortschatz verbannt gehört [S. 112]. Noah Sow erklärt nicht nur Hintergründe zu diesem Wort, sondern nennt auch aktuelle Beispiele (Süßigkeiten, alltäglicher Gebrauch, Literatur). Das zeigt: das N-Wort ist noch lange nicht vom Tisch, und auch, wie wichtig dieses Buch ist.

Das Buch soll nicht nett und kuschelig sein, es ist wütend und hält weißen Deutschen unverblümt den Spiegel vor – auch und gerade Menschen, die sich für nicht rassistisch halten und glauben, dass Rassismus einzig das Problem der extremen Rechten sei. Sow beschreibt treffend die Reaktion vieler weißer Deutscher, wenn sie mit Rassismus konfrontiert werden oder in einer Diskussion die Privilegien von Weißen zur Sprache kommen (besonders Beliebt: der angebliche Rassismus gegen Weiße). Dass Rassismus in der Gesellschaft und in der Kultur sehr viel verwurzelter ist als viele wahrhaben wollen, dass er strukturell und institutionell ist, wird in diesem Buch großartig verdeutlicht.

Das Buch liest sich flüssig und in einem Rutsch weg. Manch einer wird häufiger den Kopf schütteln als andere, und bei einigen Lesern sind die Augen stärker vor der Existenz von alltäglichem Rassismus stärker verschlossen als bei anderen, aber es ist für jeden erhellend. Auch und gerade für weiße, linksorientierte Menschen, die sich selbst für nicht rassistisch halten. Für solche Leute gibt es einen Rassismus-Selbsttest [S. 67], aber auch rassistische Schlaglichter aus dem Alltag und „Tipps für weiße Freunde“ [S. 247].
Sow wurde in manchen Kritiken Arroganz vorgeworfen und dass sie alle Weißen unter Generalverdacht des Rassismus stelle. Kann man so sehen. Oder einfach mal die besserwisserische Klappe halten (1), zuhören und ernstnehmen, wenn eine von Rassismus Betroffene über eben jenen Rassismus spricht, und Weiße über ihren eigenen, selbst nicht wahrgenommenen Rassismus aufklären will.

In diesem Sinne: LEST DAS BUCH!
Kaufen kann man es z.B. hier.

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(1) Nein, eine weiße Person weiß nicht, wie sich Rassismus anfühlt. Um es einmal mit den Worten eines Freundes auszudrücken: „Du [als weiße Person] hast Rassismus nicht erlebt. Du bist vielleicht Zeuge dessen geworden, aber du hast ihn nicht erlebt, weil du nicht von Rassismus betroffen bist.“

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