Trigger Warnung: Vergewaltigung, Rape Culture, Victim Blaming
Disclaimer 1: Explicit Langauge.
Disclaimer 2: Jeder Mensch kann vergewaltigt werden. Cis-Personen, Transpersonen, jedes Geschlecht, jede Orientierung, ungeachtet der Herkunft, des Alters, sozialen Status, Aussehen…Ich berichte hier u.a. von meinen eigenen Erfahrungen als Cis-Frau. Wenn ich von mir spreche, gendere ich nicht.
Disclaimer 3: Bei diesem Thema bin ich extrem sensibel und habe eine kurze Lunte. Kommentare, die mich oder andere Survivors beleidigen, herabsetzen oder unsere Erfahrungen relativieren (wollen), oder Rape Culture reproduzieren, werden nicht freigeschaltet bzw. gelöscht bzw. editiert.
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Ich bin ein Rape Survivor, zu Deutsch: Überlebende einer Vergewaltigung.1
Und ich lege Wert darauf, Survivor/Überlebende und nicht Opfer genannt zu werden. Das gängige Narrativ des Vergewaltigungsopfer ist so eng, viele Überlebende finden sich darin nicht wieder und ersticken bei dem Versuch der Gesellschaft, hineingepresst zu werden. Zudem habe ich das Gefühl, dass mit “Opfer” die Vorstellung von Passivität und Hilflosigkeit einhergeht. Damit kann – und will – ich mich nicht identifizieren bzw. nicht indentifiziert werden.
Wie Opfer einer Vergewaltigung sein zu haben:
Weiblich, weiß, schlank, jung, still, eingeschüchtert, verängstigt, fahrig.
Wie sich Opfer einer Vergewaltigung verhalten zu haben:
Angst vor Männern2, Angst vor Sex (für den Rest ihres Lebens), in weiter, unauffälliger Kleidung rumlaufen, stundenlang unter der Dusche sitzen, sich dreckig fühlen, sich schuldig fühlen.
Es gibt Überlebende, die sich so, so ähnlich oder teilweise so verhalten, und dieses Verhalten ist absolut okay! Auf mich treffen aber nur drei der oben genannten Aspekte zu: ich bin weiblich, ich bin weiß, und ich bin (relativ) jung. Ansonsten finde ich mich in dem Narrativ kaum wieder. Wie tief dieser eine Aspekt der Rape Culture aber in mir verankert ist merkte ich nach meiner Vergewaltigung: tiefer als mir lieb ist.
Fragen am selben Tag
Ist das gerade wirklich passiert? Habe ich mich nicht deutlich genug gewehrt?
Es geht nicht um (ab)wehren. Es geht um Zustimmung.
Man muss nicht “Nein!” schreien um deutlich zu machen, dass man gerade keine Lust auf Sex hat. Man muss auch nicht die Hand wegschieben, die Beine zusammendrücken, sich wegdrehen um “anerkanntermaßen” keine Zustimmung gegeben zu haben. Wenn man etwas getrunken hat oder schläft oder ohnmächtig oder schlaftrunken ist, wie soll man all das machen? Wenn man Angst hat, verwirrt ist, nicht einordnen kann, was da gerade passiert, wie soll man das machen? Wenn man sich verbal nicht eindeutig positiv zum Sex äußert oder entsprechende Anstalten macht, ist das keine Zustimmung.
Und auch wenn man sich wehrt können einen irgendwann die Kräfte verlassen oder man resigniert und gibt auf. Das ist kein Zeichen von Schwäche! Man kann von keinem Menschen verlangen, immer bis zum ende zu kämpfen. Vergewaltigungen können tödlich enden, vor allem aber können sie mit massiver körperlicher Gewalt einhergehen. Sich nicht mehr zu wehren kann schlicht ein Schutzmechanismus sein “um es hinter sich zu bringen”.3
Auch wenn das Ausbleiben von Gegenwehr als Zustimmung umgedeutet wird, es ist keine. Wie ein Brett daliegen und hoffen, dass es möglichst schnell vorbei ist, ist keine Zustimmung.
Wer in Sachen Einwilligung noch Fragen hat, schaue sich dieses Video an:
Ich lache. Darf ich überhaupt schon wieder lachen?
Der Opfermythos sagt, dass Überlebende still, vielleicht auch apathisch und kaum ansprechbar sind. Oder sie sind in Tränen aufgelöst, können sich kaum artikulieren und sind auch in diesem Fall kaum ansprechbar.
Als ich die Polizei rief, hatte ich meine beste Freundin und meinen Bruder an meiner Seite, zwei der Menschen, die mich und vor allem meinen Humor kennen, und die mich den Tag mit der Polizei, der Gerichtsmedizin und meiner Erschöpfung begleiteten.
Ich habe schnell wieder gelacht, wenige Stunden nach der Vergewaltigung. Zwar meinten beide Monate später, als wir darüber sprachen, dass es schrill und “ziemlich drüber” war, aber das ist okay. Lachen ist wie weinen eine völlig normale Reaktion auf eine Stresssituation. Ob es eine Übersprungshandlung war? Bestimmt. Würde ich heute anders reagieren? Wohl kaum. Es tat gut zu lachen, es nahm der Nacht ein bisschen den Schrecken und vor allem erkannte ich mich selbst unter dem ganzen Schock. Ich kann nichts dafür, dass mein Humor katastrophenresistent ist. Nach einer Vergewaltigung ist weinen okay, schweigen okay, lachen okay.

Ich kann nicht in Hotpants zur Gerichtsmedizin. Oder doch? Oder lieber den Rock? Ich will keine Jeans anziehen…
Ich laufe eigentlich nur in kurzen Hosen und Rock rum, Sommer wie Winter. Jetzt hatte ich Angst, dass man mich nicht ernst nehmen, dass man mir nicht glauben würde, wenn ich in Hotpants mit der Polizei spreche. Warum? Weil Victim Blaming, also dem Opfer/Überlebenden die Schuld an einer Straftat zu geben, immer noch gang und gäbe ist.
Der Spruch “Mit dem Rock hat sie es aber auch drauf angelegt” macht was mit (Trans-)Frauen. Man hat das Gefühl, durch etwas Alltägliches wie die Kleiderwahl die eigene Reputation zu untergraben. Ich wollte, dass man mir zuhört und mein Erlebnis nicht anhand meiner Kleider beurteilt. Ich konnte aber auch keine Jeans anziehen an dem Tag, ich wollte keine steifen Dinge an mir. Ich wollte bequem und unkompliziert und Beschütz-Mich-Klamotten. Am Ende wurden es Rock, Leggins und Hoodie. Was wäre passiert, hätte ich mich für Hotpants und Tanktop entschieden? Wäre ich Ernst genommen worden? Heute denke ich: vermutlich schon. Die Beamtin, die mich als erste befragte, war speziell ausgebildet mit Opfern sexualisierter Gewalt zu sprechen. Sie hat zugehört ohne zu urteilen. Ebenso taten es der Gerichtsmediziner und später die Beamten des LKA. Ich glaube nicht, dass eine Leggins, ein Rock und ein knallroter Hoodie den entscheidenden Unterschied in der Glaubwürdigkeit gemacht haben. Allerdings waren das alles Profis, die regelmäßig mit Überlebenden sexualisierter Gewalt zu tun haben.
Was die breite Gesellschaft davon gehalten hätte…ich weiß es nicht und ich denke, ich will es auch nicht. Aber gerade deswegen ist es wichtig darüber zu reden und zu schreiben. Ich liebe Hotpants, ich fühle mich in ihnen genauso “sicher” wie in einer normalen Jeans. Warum sollte die Länger oder Weite eines Kleidungsstücks über meine Glaubwürdigkeit entscheiden?
Dieser Gedankengang geht unten weiter.
Ich habe den Kerl auf einer Dating-App kennengelernt, jeder wird sagen, dass sowas ja mal passieren musste…
Ich habe meinen Vergewaltiger auf einer Dating-App kennengelernt. Diese Dating-App ist auch als “Fick-App” verschrien, man wischt sich angeblich von One Night Stand zu One Night Stand. Was daran jetzt so schlimm sein soll ist Thema für einen anderen Artikel.
Nur, warum sollte eine Dating-App ein größerer Magnet für potentielle Vergewaltiger_Innen sein als bspw. Facebook oder Twitter? Weil es allgemein meistens “nur” um Sex geht (was ich übrigens nicht bestätigen kann, aber das nur am Rande (5))? Guess what, mit einem persönlichen Treffen stimme ich nicht automatisch und grundsätzlich auch Geschlechtsverkehr zu. Eine Dating-App vereinfacht das Kennenlernen. Alles andere folgt den gleichen Regeln – oder sollte es – wie bei konventionell zustandegekommenen Dates auch.
Eine Vergewaltigung hat, wie im Disclaimer bereits geschrieben, erstmal nichts damit zu tun, wer wann wo war, oder, in diesem Fall, wie man sich kennengelernt hat. Vergewaltigung ist Gewalt, eine Demonstration von Macht, die eine Person über eine andere ausüben will bzw. ausübt. Ob sich diese Personen am Arbeitsplatz, in der Kneipe, beim Fußball oder auf einem Dating-Portal kennengelernt haben, ist bei der Tat völlig irrelevant.
Die Polizei wirft die komplette Ermittlungsmaschinerie an. Er könnte seinen Job verlieren, Freunde, seine Hunde kommen ins Heim…ich habe gerade sein Leben zerstört! War das, was passiert ist, so “schlimm”, dass es das rechtfertigt?
Kein Witz, meine Aussage keine fünf Minuten nachdem ich aus dem LKA raus war.
Man stellt sich eine Vergewaltigung immer brutal vor, mit viel Geschrei, Gewalt, vielleicht sogar Blut. Das war bei mir nicht so. Ich habe nicht um Hilfe geschrien. Ich wurde nicht geschlagen. Blut gab es wenig. Ich hatte kurz das Gefühl, es sei ja “nicht so schlimm gewesen”, und die armen Hunde… Meine beste Freundin hat mir den Kopf zurechtgesetzt: “Du hast gerade sein Leben zerstört? Ist dir klar, was er mit deinem Leben letzte Nacht gemacht hat?”
Und da war es mir wieder klar. Auch wenn ich irgendwann aufgehört habe mich zu wehren und es still war, es ist und bleibt eine Vergewaltigung, für die sich mein Vergewaltiger zu verantworten hat. Er wird vielleicht seinen Job verlieren und ein paar Freunde und weitere soziale Konsequenzen zu tragen haben. Aber so ist das eben, wenn man so richtig scheiße gebaut und sich benommen hat wie der Arsch vom Dienst.
Wichtig ist: diese Frage, ob die eigene Vergewaltigung “schwer genug” war und ob das auch von außen, sprich Polizei, Umfeld und Gesellschaft so anerkannt wird, hindert immer noch sehr viele Survivors daran, das Erlebte anzuzeigen. Mal abgesehen davon, dass die meisten Verfahren eingestellt werden, weil Aussage gegen Aussage steht, und viele sich allein deswegen schon fragen, warum sie sich das ganze Procedere antun sollen, ist diese tiefe Verinnerlichung von Rape Culture wohl mit der schwerwiegendste Grund, warum von allen begangenen Vergewaltigungen nur ein Bruchteil angezeigt wird. Die Vorstellungen in der Gesellschaft, dass “viele Vergewaltigungsanzeigen nur erfunden sind” [sic!] und dass der “arme Mann dafür ja erstmal nicht so hart angegangen werden muss” [sic!] weil ja vielleicht “alles nicht ganz so schlimm war, jedenfalls nicht so wie im Film” [sic!] können für Survivors unüberwindliche Hürden darstellen. Jede einzelne Vorstellung bedeutet Zweifel und Schmerz, Infragestellung der eigenen Wahrnehmung und Gefühlswelt, und zu guter letzt: zeige ich das Arschloch an? Wenn die Antwort nein lautet, hat Rape Culture wieder dafür gesorgt, dass sich ein_e Straftäter_in nicht verantworten muss – und im schlimmsten Fall weiter vergewaltigen kann.
Fragen an den Tagen und Wochen danach
Darf ich jetzt wieder Hotpants tragen?
Die eben angesprochene Frage beschäftigte mich noch tagelang. Ab wann ist es für Survivors gesellschaftlich anerkannt, wieder kurze Hosen, Hotpants und Miniröcke zu tragen? Eigentlich müsste ich mich in sackiger Kleidung verstecken, obwohl ich meine Hotpants liebe. Ich hatte wenig Lust auf Kleidersäcke, mal abgesehen davon, dass ich sowas kaum besitze, und eigentlich bin ich doch ein Dickschädel…
Niemand hat jemandem vorzuschreiben, was sie oder er zu tragen hat, egal wann, was, wie wo.4 Es gibt keinen offiziellen Dresscode für “Ich wurde (gerade) vergewaltigt”, und trotz meiner Zweifel, Bedenken und Gedanken wollte ich mir nichts aufoktroyieren lassen. Ich wollte Klamotten tragen, in denen ich mich wohl fühlte.
Drei Tage nach meiner Vergewaltigung ging ich in Hotpants einkaufen, was auch an meiner Schwester und meiner Mum lag, die meine Entscheidung nicht seltsam fanden sondern deutlich meinem Charakter entsprechend, und mich unterstützten. Ich hätte auch in Jogginghosen und Hoodie gehen können, das wäre genauso in Ordnung gewesen.

Was wäre, wenn mir das nochmal passiert? Irgendwann ist es doch meine Schuld, wenn ich nicht auf mich aufpasse, oder nicht?
Das war eine Frage, die mich in einer schlaflosen Nacht umtrieb und die manchmal immer noch in meinem Kopf rumgeistert. Tatsächlich wurde ich zwei Mal vergewaltigt, auch wenn ich Jahre brauchte, um die erste als solche anzuerkennen (und es mir oft immer noch schwerfällt).
Schuld trage ich an keiner der beiden Vergewaltigungen. Ich trage auch keine Schuld, wenn es mir nochmal passieren sollte. Zum einen würde es bedeuten, dass sämtliche Survivors in Beziehungen, denen sowas regelmäßig passiert und nicht die Kraft haben, sich dagegen zu wehren, ab dem zweiten Mal bereits (mit-)schuld sind. Zum anderen, welcher Lerneffekt soll denn bitte nach einer Vergewaltigung eintreten? Kein Sex mehr in einer Beziehung? Keine One Night Stands? Keine Dunkelhaarigen mehr? Überhaupt keine Menschen des gleichen Geschlechts? Und vor allem, wieso soll eine katastrophale Erfahrung so viel mehr wiegen als zig unglaublich gute?
Eine Vergewaltigung hat keinen Lerneffekt. Das ist keine Fabel, die am Ende mit einer Moral aufwartet. Eine Vergewaltigung ist eine Machtdemonstration, eine massive Grenzüberschreitung. Sie kann immer wieder passieren, unabhängig davon, wie ich mich verhalte oder kleide, was ich erlebt oder gelernt habe.
An einer Vergewaltigung bin ich nur in einem Fall Schuld: Wenn ich die Vergewaltigerin bin.
Er war sich bestimmt nicht bewusst was er da tut…
Ein weiterer Nachtgedanke. Waren sich beiden Männer bewusst was sie taten? Und wenn nicht, entschuldigt es die Vergewaltigungen?
An dieser Stelle nochmal eine Triggerwarnung: ich gebe Aussagen meiner Vergewaltiger wider. Diese sind zwar eingeklappt, aber ich möchte nicht, dass jemand unvorbereitet in einen Flashback rennt.
Was gesagt wurde
Mein Vergewaltiger war überrascht und sauer, dass ich ihn auf Whatsapp blockiert habe, er schrieb mich über Facebook an. Ziemlich eindeutig, dass er nicht begriffen hatte, was er gemacht hat. Auf der anderen Seite zeigten sein Verhalten und vor allem seine Aussagen, dass er seiner Meinung nach nichts falsch gemacht hat, dass vielmehr ich “komisch” bin.
Nach dem ersten einvernehmlichen Geschlechtsverkehr, den ich zwei mal abbrechen wollte weil er mir zu ruppig und gewalttätig war, wollte ich nur noch schlafen und hatte keine Lust mehr auf weiteren Sex.
Typ: “Ich hatte dir gesagt, wenn wir uns sehen haben wir die ganze Nacht lang Sex.”
Auch wenn ich die Vorstellung ein paar Tage vorher vielleicht toll fand, heute ist ein anderer Tag und ich habe das Recht “Nö” zu sagen. Nur weil er etwas ankündigt bin ich nicht verpflichtet, seine Vorstellungen in die Tat umzusetzen.
Ich: “Ja nee, ist vorbei, es tut weh.”
Typ: “Ach und ich bin Schuld oder wie? Ist das mein Problem?”
Ich gab trotzdem nach in der Hoffnung, die liebe Seele hätte dann Ruh’, und ich könnte dann endlich schlafen.
Die Nacht wurde noch der Horror, ich traute mich irgendwann kaum noch zu atmen.
Nachdem ich mich mehrfach geweigert hatte, nochmal Sex zu haben (genervt): “Was erwartest du? Ich bin ein Mann und liege mit ner mörder Latte neben Dir.”
Keine Ahnung was ich erwarte, vielleicht, dass du mich schlafen lässt und nicht jedes Muskelzucken als Einladung interpretierst, mir deinen Schwanz ins Gesicht zu drücken? Geh ins Bad und hol dir einen runter, wenn’s so dringend ist. Aber deine Erregung ist nicht meine Verpflichtung, auch wenn du in meinem Bett liegst.
Damals, vor Jahren, ich: “Hör auf, hör bitte sofort auf!”
Er: “Ja Moment, bin gleich fertig.”
…
Eine Vergewaltigung mit “der wusste einfach nicht, was er da tut” zu entschuldigen ist zwar biblisch, aber ich bin weder Jesus, der ans Kreuz geschlagen wird, noch ändert es was am eigentlichen Tatbestand. Vielleicht waren sich beide Männer nicht der Tragweite ihrer Ignoranz ihrer daraus resultierenden Handlungen bewusst. Das tut mir leid für die beiden Männer und für ihre Sexualpartner_Innen, die sie gehabt haben und noch haben werden. Es ist aber nicht meine Aufgabe, meinen Sexualpartner noch in der Situation darüber aufzuklären, was er da tut. Mal abgesehen davon, dass es auch gefährlich werden kann, denn zumindest bei meinem letzten Vergewaltiger hatte ich sehr schnell sehr viel Angst vor ihm und befürchtete, wenn ich noch mehr Contra gebe habe ich neben seinem Genital irgendwann auch seine Hand im Gesicht.
Ich wurde in meinem Bett vergewaltigt und müsste Angst haben, darin zu schlafen. Albträume, Flashbacks, Widerwillen gegen die eigene Wohnung… bin ich normal, wenn ich mich hier noch wohl fühle?
Ich liebe meine Wohnung. In ihr fühle ich mich wohl und sicher.
Ich liebe mein Bett, ich schlafe, wenn ich nicht gerade in einer Phase mit Schlafstörungen bin, wie ein vollgefressenes Murmeltier, ungeachtet dessen, vor einigen Monaten passiert ist. Vielleicht liegt es daran, dass ich in der Nacht nach meiner Vergewaltigung bewusst in meinem Bett geschlafen habe, damit ich eben keine Angst entwickle. Ob ich das ohne meine beste Freundin geschafft hätte, die neben mir lag und über mich und meinen Schlaf wachte? Ich weiß es nicht.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass ich auch in diesem Punkt Glück hatte und habe, nicht umziehen zu müssen, dass ich mir nicht woanders einen sicheren Rückzugsort neu aufbauen musste. Ich habe irgendwann, während ich mich bei meiner Familie verbuddelte und Kraft tankte, angefangen mein Bett, meine Wohnung und die Ruhe dort zu vermissen. Und ja, es ist okay, dass ich in meinem eigenen Bett erholsamen Schlaf finde und die Flashbacks meistens woanders kommen, und ich auch hier nicht den gesellschaftlichen Opfererwartungen entspreche. Ich habe meine Päckchen aus der Nacht in anderen Abteilungen, aber mein Bett ist mein Bett und das lasse ich mir nicht wegnehmen. Nicht von dem Typen, nicht von gesellschaftlichen Erwartungen.
Ab wann ist es okay, wieder Sex zu haben?
Wäre es gesellschaftlich anerkannt, ich würde “Sex” als Hobby im Lebenslauf angeben.
In den Tagen und Wochen nach der Vergewaltigung war das Bedürfnis Sex verständlicherweise nun nicht gerade hoch, aber die Frage stellte ich mir trotzdem. Nach dem gängigen Klischee aus Film und Fernsehen müsste ich jetzt für immer und ewig Angst vor Sex haben oder nur noch gewalttätigen Sex genießen können, bis ich eben vom Ritter in goldener Rüstung erlöst werde und quasi in den Orgasmushimmel komme, für immer glücklich auf rosaroten Sexwolken schwebend, blablabla.
Es gibt Survivors, die ihr Verhältnis zu Sex nach einer Vergewaltigung als gestört empfinden, oder/und nicht das Bedürfnis verspüren, überhaupt Sex zu haben bzw. sich wie auch immer mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mir ging es ähnlich. Ich wollte keine Bücher lesen, in denen auch nur ansatzweise Sex drin vorkam, und den dritten Teil von ACOTAR kann ich bis heute nicht lesen, weil es auf den ersten Seiten nur darum geht, wie die Protagonistin versucht sich dem Protagonisten zu entziehen. Muss ich nicht haben, echt nicht.
Was ich aber irgendwann wieder haben wollte, war Sex. Er macht mir einfach zu viel Spaß. Ich hatte auch Angst. Was würde passieren, wenn es doch zu früh war und ich mittendrin einen Flashback bekomme oder heulen muss oder mein Sexualpartner gehen soll oder oder oder?
Ohne in Details zu gehen: ich habe eine Lösung gefunden, es ging gut, auch wenn ich merkte, dass es vielleicht ein, zwei Wochen zu früh war, und inzwischen ist zumindest auf diesem Gebiet wieder alles im Lot.

Wenn andere erfahren, dass ich die Dating-App wieder nutze…
Zumindest meine Mum würde es nicht verstehen. Sie würde sich wirklich fragen, ob ich denn nichts gelernt hätte. Aber wie oben schon geschrieben: bis auf dieses eine verdammte Mal hat mir die App immer Spaß gemacht. Das Unverständnis, warum ich wieder bei dieser App bin, wird eher von einem allgemeinen Unverständnis herrühren, wie man überhaupt so eine App benutzen kann.
Ich rede offen über das, was mir passiert ist. Bin ich schon eine Attention Whore?
Es ist anerkannter therapeutischer Konsens, dass man über ein Trauma reden soll und muss, weil es sich sonst verstärken und damit verschlimmern kann.
Nun, ich rede drüber. Manchmal nur das Nötigste, damit meine Umgebung sich nicht über bestimmte Reaktionen wundert, manchmal etwas mehr, und dieses Mal in dem persönlichsten Artikel, den ich je geschrieben habe. Ich halte wenig davon, etwas zu umschreiben nur weil die Nennung dessen ein Tabu darstellt. Ich rede über meine Vergewaltigung, um ihr den Teil des Schreckens zu nehmen, den die Gesellschaft mit dem Narrativ noch oben drauf setzt. Ich rede darüber, wenn es mir gut tut. Ich rede aber auch darüber um zu zeigen: darüber reden ist okay. Und wichtig. Viele Survivors schweigen weil sie einfach nicht darüber reden können. Ich kann es.

Vergewaltigung, egal ob versucht oder vollendet, Nötigung, jede Spielart von sexualisierter Gewalt müssen endlich raus aus der Tabuzone, man muss anfangen, darüber zu reden, sonst wird sich die Situation für Betroffene von sexualisierter Gewalt niemals bessern. Und betroffen sind nicht nur Cis-Frauen. Transfrauen, Transmänner, Cis-Männer und alle Geschlechter dazwischen sind betroffen. Alle Altersgruppen, alle gesellschaftlichen Schichten, alle Hautfarben. Sexualisierte Gewalt ist ein Problem, das nicht nur eine kleine Gruppe von wenigen Menschen betrifft. Wenn ich dazu beitragen kann, dieses Thema ans Licht und in die Diskussion zu zerren, indem ich darüber rede, dann bin ich gerne eine Attention Whore.
Und was hat das alles jetzt mit #redmylips zu tun?
#Redmylips will auf sexualisierte Gewalt aufmerksam machen. Ich habe hier einen Teil meiner Erfahrungen, vor allem meine Fragen niedergeschrieben.
Aber auch der Rote Lippenstift findet sich in meinem Heilungsprozess. Hier sind die letzten Gedanken, die mich an den Tagen nach der Vergewaltigung umtrieben.
Ich weigere mich einfach, dass es mir beschissen geht….wie war das mit duschen und schminken?
Meine Schwester ist immer knallhart ehrlich zu mir, das waren wir drei Geschwister (wir haben noch einen Bruder) schon immer zu einander. Ein paar Tage nach meiner Vergewaltigung meinte sie: “Maiky, du duscht sonst jeden Morgen, ohne Dusche gehst du nicht aus dem Haus, und mit ungeschminkten Augen sowieso nicht. Daran merkt man, dass es dir gerade echt beschissen geht.”
Mir war das gar nicht so aufgefallen, ich verbuddelte mich unter zig Decken auf der Couch oder im Bett, meistens schlafend, manchmal lesen und in seltenen Fällen mit dem Pflegekater kuschelnd, der mich nicht leiden konnte und ich ihn nicht.6
Meine Schwester hatte recht. Es ging mir absolut beschissen, auch wenn ich es nicht wahrhaben wollte. Ich versuchte krampfhaft, meinen Alltag aufrecht zu erhalten. Ich ging arbeiten (geduscht und geschminkt), aber sobald ich zu Hause war, vergrub ich mich wieder, und wenn ich das Haus verließ war es mir scheißegal, ob ich geduscht und mir die Zähne geputzt hatte, oder ob ich geschminkt war. Das war mir nur bei der Arbeit wichtig. Das Opfernarrativ “jeden Tag stundenlang duschen” traf auf mich im krassen Gegenteil zu.
Witzigerweise fing ich, nachdem meine Schwester mir ihre Beobachtung erzählt hatte, an darauf zu achten. Ich duschte vielleicht nicht morgens, aber jeden Tag. Und ich schminkte mich täglich – mal mit, mal ohne Lippenstift, auf jeden Fall aber mit Kajal und Mascara. Es mag nach lookistischer Indoktrinierung klingen, aber ich fand damit schneller wieder zu mir, zu dem Menschen, den ich kannte und kenne: Dunkel geschminkte Augen, die im Laufe des Tages immer Pandaaugen werden, und dunkelrote Lippen mit Piercing. Ich war zwar auch mit Makeup und frisch duftenden Haaren ziemlich am Ende und hatte ein Schlafbedürfnis, das jeden Winterschläfer neidisch macht, und auch die Flashbacks wurden nicht aufgehalten. Aber es war wieder “ich”, der es scheiße ging, nicht der krampfhaft zusammengehaltene Scherbenhaufen, nach dem ich mich anfühlte. An manchen Tagen war mein MakeUp eine Maske die ich brauchte um den Tag zu überstehen, der eine Wand zwischen mich und die Menschen zog um sie nicht zu nah an mich heranzulassen. Aber mit dem Makeup kamen auch die frechen Sprüche und die kesse Lippe wieder. Mascara, Kajal und dunkelroter Lippenstift waren nicht neu, ich schminke mich seit Jahren so, aber jetzt waren sie auch das Duct Tape für mein Inneres.

Ganz wichtig zum Schluss: Dieser Prozess mich selbst zusammenzusammeln setzte bereits nach einigen Tagen ein, vielleicht eine Woche nach der Vergewaltigung. Ich bin psychisch einfach so gebaut, ich sehe mit meinem Dickschädel einfach nicht ein, dass eine beschissene Nacht mein gesamtes verdammtes Leben versaut. The Dickschädel is strong with this one. Bei anderen Überlebenden kann es länger dauern, bis sie den Weg zu sich wiederfinden. Wochen, Monate, Jahre. Jeder Mensch ist anders, vor allem psychisch, und wenn eure Tochter, Sohn, Ehefrau, bester Freund auch nach drei Jahren noch am kämpfen ist und sich nicht im Spiegel erträgt, dann ballert ihm nicht mein Beispiel um die Ohren, sondern unterstützt sie oder ihn in ihrem/seinem eigenen Tempo.
Rape Culture kann mich mal
Rape Culture ist eine Spielart von Sexismus, die die meisten verinnerlicht haben dürften. Es ist egal, wie sehr man Sexismus und Rape Culture hinterfragt, kritisiert und dekonstruiert, erst wenn man selbst mit aller Härte damit konfrontiert ist merkt man, wie die eigenen hart Ansichten und hart erkämpften Standpunkte gegen verinnerlichte gesellschaftliche Normen und Denkweisen stehen. Ich hätte nie gedacht, dass sich mir jemals diese Fragen stellen werden, ich dachte, ich gehe mit allen ganz tough um, auch mit sämtlichen Erwartungen in der Gesellschaft, nur ich allein entscheide was wann wie gut für mich ist. Ganz so tough war es dann doch nicht, ich hatte (und habe manchmal immer noch) eine Schweineangst, dass man mich für das, was mir passiert ist und wie ich damit umgehe, verurteilt, mir die (Mit-)Schuld gibt, meine(n) Vergewaltiger in Schutz nimmt. Aber ich lasse mich davon nicht unterkriegen, sehe ich gar nicht ein.
Rape Culture can kiss my sweet ass.
More to Read
Es gibt zig Bücher zum Thema Sexismus, Feminismus und was sich alles ändern muss. Das Thema Vergewaltigung und Rape Culture ist oft aber nur ein Abschnitt neben vielen. Ein besonders lesenswertes Kapitel ist Gewalt in Bitch Doktrin von Laurie Penny.
Der erste Text, den ich jemals zum feministischen Ansatz von Vergewaltigung und Rape Culture gelesen habe, ist Betrayal – a critical analysis of rape culture in anarchist subcultures, in dem es vor allem um die Wahrnehmung von und Reaktion auf Vergewaltigung in der linken (anarchistischen) Szene geht.
Vor allem aber hat Mithu Sanyal 2016 ihr Buch Vergewaltigung. Aspekte eines Verbrechens veröffentlicht, in dem es nicht nur um die Geschichte dieses Verbrechens, sondern eben auch um Rape Culture geht. Die Rezension findet ihr hier. Vor allem aber hat Sanyal auf der Frankfurter Buchmesse 2016 etwas sehr wichtiges gesagt, und bitte verinnerlicht das, wenn ihr auf einen Survivor trefft, die/der sich nicht so verhält, wie ihr es erwartet (Auszug aus der Rezension):
“In der gesellschaftlichen Vorstellung muss ein Vergewaltigungsopfer bis ans Ende des Lebens schwer traumatisiert sein und bestimmte Verhaltensweisen entwickeln (Angst vor Männern, Beziehungsunfähigkeit, gestörte Sexualität, etc.). Sanyal meinte nun, dass man Opfern die Möglichkeit zusprechen müsse, ihre eigene Geschichte zu schreiben. Das heißt, jedes Opfer reagiert anders und jede Reaktion und Form der Verarbeitung ist okay.”
(1) Der Terminus tauchte vor einigen Jahren in linken Subkulturen in den Vereinigten Staaten auf um mit dem Opfer-Narrativ zu brechen, das vergewaltigte Personen betrifft. Zuerst gelesen habe ich den Begriff in dem Essay Betrayal – a critical analysis of rape culture in anarchist subcultures.
(2) Hier gemeint: Cis-Männer.
(3) Auch in (sexuell) übergriffigen Beziehungen kann “stillhalten” einfach ein Schutzmechanismus sein, um weiterer Gewalt zu entgehen.
(4) Ausgenommen: vorher angekündigte Dresscodes, Cultural Appropriation und gewisse Anlässe und Orte , bei denen Bikinis eher unangebracht sind.
(5) Ich habe mit Tinder Dates schon mega witzige Nachmittage an der Elbe und hochphilosophische Abende in Kneipen, ohne dass es auch nur zum Händchenhalten kam.
(6) Seitdem ich mich dort verbuddelt habe hat sich das ein bisschen geändert. Zum einen habe ich den ehemaligen Draußenkater regelmäßig nach draußen begleitet, damit er mehr erkunden konnte als den Balkon. Zum anderen hat er mich, als ich einmal eine schlechte Nacht mit Albträumen und anschließender Schlaflosigkeit hatte und auf die Couch umgezogen bin um keinen zu wecken, wie so ägyptische Tempelkatze beschützt. Er behielt die Türen zum Wohnzimmer im Auge und wehe, ich robbte zu weit weg. Wir sind nicht die besten Freunde, aber wir gucken jetzt nacheinander.
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