Fangen wir ohne große Einführung direkt an, und ich kann für diplomatische Formulierungen nicht garantieren!
Gestern schrieb mir Anna von Ink of Books, dass sie für ihre jüngste Podcastfolge angegriffen würde. Warum? Die Kritik sei zu scharf, man müsse doch auch an die Gefühle der Autorin denken, dessen Buch Anna mehr oder weniger auseinandernimmt. Den ausschlaggebenden Twitter-Thread findet ihr hier.
https://twitter.com/PigletNherbooks/status/1356349836707115011
Eine scharfe Kritik ist kein Mobbing, liebe Flauschblogger*innen!
Es geht nicht darum, dass man jemanden dafür lobt, jemand anderen fertig zu machen. Man lobt jemanden für eine begründete negative Kritik. Anna ist bekannt für ihre scharfen Kritiken, wenn ihr ein Buch nicht gefällt. Und wenn ein Buch problematisch ist, wird nicht die scharfe Argumentation ausgepackt, sondern die rasiermesserscharfe. Das ist bei ihr so, bei mir so, und bei vielen anderen auch.
https://twitter.com/PigletNherbooks/status/1356349844089147395?s=20
Ich habe schon lange den Eindruck, dass viele Buchblogger*innen sich nicht (mehr) im Klaren darüber zu sein scheinen, was eine Rezension im Grunde ist. Sie ist eben nicht nur eine Buchvorstellung, in der man die Handlung zusammenfasst und ein kurzes Statement “Fand ich toll, es gibt ein Lesebändchen” bzw. “Fand ich doof, und das Cover ist hässlich” dazu abgibt. Eine Rezension setzt sich mit dem Inhalt auseinander, erklärt warum man das Buch “toll” oder “doof” fand, wo ggf. Problematiken liegen oder welche gut gelöst wurden.
Bei einem Rant, der emotionalen Version des Verrisses, geht es trotz aller Schärfe nicht darum, die Autor*in anzugreifen oder „Hass und Frust“ auf selbige abzulassen, sondern um das besprochene Werk. Wenn Autor*innen da keine Grenze ziehen können zwischen geschöpftem Werk und eigener Person, die natürlich verbunden, aber dennoch zwei völlig Unterschiedliche Seiten sind, ist das nicht das Problem der Rezensent*innen. Das gleiche gilt in Bezug auf Kuscheblogger*innen, die ihre literarische Zuckerwattewelt in Gefahr sehen, wenn andere Blogger*innen mal die Wattebäuschchen beiseite lassen.
Interessanterweise kommt bei vernichtenden Kritiken in Feuilletons und anderen großen Medien niemand auf die Idee zu sagen: “Aber der arme Autor, der sitzt jetzt allein in seiner dunklen Kammer und heult sich die Augen aus.“ Niemand erklärt den Kritiker*innen, sie mögen doch bitte sanfter mit den zarten Gefühlen der Schreibenden umgehen. Warum also bei Buchblogger*innen?
Bevor jemand kreischt, ich stelle Blogs und Feuilleton auf eine Stufe: Tue ich nicht. Es sind zwei verschiedene, wenn auch ähnliche Medien zur Auseinandersetzung mit Literatur. Trotzdem frage ich mich immer wieder, warum Blogger*innen sich selbst zum Flausch verpflichtet fühlen und nur lieb und nett sein wollen, und andere in ihrer Branche ebenfalls dazu verpflichten wollen. Und warum sich Blogger*innen, die auch negative Rezensionen schreiben, sich immer wieder rechtfertigen müssen.
Die Harmoniesucht vieler Blogger*innen mit ihren Unterstellungen, negative Kritik und Verrisse beinhalteten per se Hass (wie Lea es impliziert) verwässern genau diese Begriffe. Nicht jede negative Rezension ist eine Beleidigung, nicht jede 2-Sterne-Bewertung ist Mobbing, nicht jeder Verriss ist eine Hetzkampagne gegen eine*n Autor*in.
Die Notwendigkeit von Verrissen
Scharfe Kritik und Verrisse sind wichtig! Sie sind eine Möglichkeit mit Büchern umzugehen, die einem nicht zugesagt haben, die vielleicht sogar schlecht oder problematisch sind. Solche Bücher, und ausschließlich die Bücher, nicht der*die Autor*in, bekommen von mir alles ab, was ich an Argumentation im Repertoire habe. (1)
Wenn ein Autor es notwendig findet, auf den ersten 120 Seiten zwei Vergewaltigungen und unzählige Fälle von sexueller Nötigung aneinanderzureihen, dann spreche ich das nicht mit “Entschuldigung, nur meine persönliche Meinung, vielleicht verstehe ich den größeren Zusammenhang nicht, aber ich fand diese Szenen doof” an. Damit kann keiner etwas anfangen. Ich formuliere klar und deutlich und scharf, was genau problematisch ist und was mich stört. Ein Verriss ist hier also Umgang mit der eigenen Meinung als auch Hinweis auf ein problematisches Buch für andere zugleich.
Scharfe Kritik, sofern konstruktiv, was ich auch bei Verrissen voraussetze, kann zudem auch den Schreibenden helfen. Ich habe schon mehrfach von Autor*innen gelesen und gehört, dass ihnen eine fundierte schlechte Kritik mehr geholfen habe als 10 “Ich fands so geil”-Rezensionen. Letztere sind gut für das Ego, erstere können in der Entwicklung als Autor*in helfen.
2018 habe ich innerhalb eines Monats zwei Bücher scharf kritisiert bzw. verrissen. Die Autorinnen Nora Bendzko und Liza Grimm haben es nicht als Angriff auf sich verstanden, sondern als Auseinandersetzung mit ihren Büchern. Später habe ich mit beiden ein Interview geführt, wie Autor*innen mit Kritik umgehen können. Nora hat damals etwas Wichtiges gesagt: „Ich habe mich nie der Illusion hingegeben, dass mein Schreiben der ganzen Welt gefallen könnte… wer veröffentlicht, muss auch generell mit Kritik rechnen. Manchmal ist sie gut, manchmal ist sie schlecht, und wenn es mies läuft, ist sie vernichtend…”
Ich denke, die meisten Autor*innen sind sich darüber im Klaren, dass sie nicht nur bejubelt werden. Das passiert nicht mal den Bestsellerautor*innen. Wer keine negative Kritik möchte, sollte sein Werk vielleicht lieber nur Mama zeigen.
Verfickte Harmoniesucht
Die Harmoniesucht der deutschen Buchbubble ist unerträglich. Blogger*innen tun so, als seien Autor*innen Freund*innen, nahe Verwandte oder ähnliches auf Augenhöhe. Als wären sie, die Blogger*innen, der Safe Space, der Resonanzraum für positive Rückmeldungen, in dem es nichts Negatives geben darf. Das geht inzwischen so weit, wie wir gerade bei Anna sehen, dass andere Blogger*innen für ihre Schärfe angegriffen werden, weil diese die Autor*innen verletzen könnte. Blogger*innen schwingen sich hier zur Security auf, wollen Schreibende komme was da wolle vor Negativität schützen. Die Frage ist: Warum wollen sie das? Weil sie selbst offensichtlich nichts Negatives in ihrer Sphäre ertragen? Und weil sie selbst mit Negativität nicht umgehen können, sollen alle anderen sich also bitte ebenfalls zurückhalten und nur noch mit Watte werfen?
So funktioniert das nicht. Es ist nicht die Aufgabe oder Verantwortung von Blogger*innen, die emotionale Verfassung des*der Autor*in (oder anderer Blogger*innen) zu berücksichtigen, wenn die Rezension verfasst wird, denn – NEWSFLASH – Blogger*innen schreiben die Rezension nicht für Autor*in oder Verlag, sondern für sich und ihre Leserschaft. Und da dürfen sie so scharf kritisieren, wie sie es für angebracht halten.
https://twitter.com/EleaBrandt/status/1356518022756851712?s=20
Blogger*innen, die Kuschelrezensionen mit den jeweiligen Autor*innen als Zielgruppe schreiben, Autor*innen “beschützen” wollen und auch mit fremder Kritik nicht umgehen können, sondern sich bemüßigt sehen, Bloggerkolleg*innen Hass zu unterstellen, kann ich nicht ernst nehmen.
1. Wenn ein*e Autor*in irgendwann durch regelmäßige problematische Veröffentlichungen auffällt, ist das einen Artikel wert, aber die Auseinandersetzung findet dann nicht in einer Rezension statt.
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