Auf den ersten Blick scheint völlig klar, was ein Märchen ist und was eine Sage. Das liegt vor allem auch daran, dass wir damit aufgewachsen sind, bestimmte Geschichten als das ein oder andere zu bestimmen. Hänsel und Gretel ist eindeutig ein Märchen, die
Nibelungen sind eine Sage, Dornröschen ist ein Märchen…Moment, manche sagen auch, es sei eine kindergerechte Abwandlung einer Sage. Und dann kommen da auch noch Fabeln ins Spiel, jene Art von kurzen Geschichten, die man im Deutschunterricht bis zum Erbrechen analysieren musste. Sind die Bremer Stadtmusikanten nun ein Märchen oder eine Fabel? Und Ochs und Esel aus 1001 Nacht? Und was ist mit Mythen? Sind das nicht eigentlich auch Märchen, nur mit Göttern statt mit Feen und Hexen?
Versuchen wir mal, ein bisschen Ordnung in das Gattungschaos zu bringen, auch wenn die hier vorgenommenen Unterscheidungen nur grob sein können. Natürlich sind die Grenzen zwischen den Gattungen fließend und oft nicht eindeutig.

Märchen. Geschichten, mit denen wir groß werden
Die Entstehung von Märchen ist in der Forschung groß umstritten. Wenn man davon ausgeht, dass Märchen jeweils eine „einmalige Erfindung“ sind und schlicht durch Wanderungen verbreitet wurden, müssten „angesichts der weltweiten Verbreitung und Ausformung…einige Märchen älter als der Untergang von Atlantis sein.“(1). Man weiß einfach nicht, wie die einzelnen Märchen entstanden sind, man weiß nur, dass sie da sind.
Bei Märchen gibt es zwei Unterscheidungen: Die Volksmärchen sind unbekannt verfasst, ebenso unbekannt sind Entstehungszeit und Ort (z.B. die Märchen, die von den Gebrüdern Grimm zusammengestellt wurden). Dem gegenüber stehen die Kunstmärchen, deren Verfasserschaft, Zeit und Ort eindeutig geklärt werden kann (z.B. Hans Christian Andersen, Wilhelm Hauff). Märchen sind frei erfunden und sind zeitlich und örtlich ungebunden, heißt: Dornröschen kann theoretisch in Deutschland spielen, aber auch in Rumänien, China oder Paraguay. Kennzeichnend für Märchen ist außerdem, dass Übernatürliches, Magie und Fabelwesen als Realität grundsätzlich angenommen sind. Dornröschens Eltern laden wie selbstverständlich die guten Feen ein; Baba Jaga wird gefürchtet, weil sie mit ihrer bösen Magie schlicht existiert; Ali Baba öffnet die Schatzkammer im Berg mit einem magischen Zauberwort. Es gibt in Märchen höchstens Verwunderung oder Erschrecken darüber, dass die Figuren jetztda sind, aber nicht über ihre bloße Existenz. Ein Szenario, von dem Sam und Dean Winchester nur träumen können, dann müssten sie nicht immer so viel erklären. Zudem liegt der Fokus der Märchen vor allem auf den Handlungen (2), Sagen bspw. Konzentrieren sich vor allem auf die Figuren.

Sagen. Geschichten fast wie Märchen
Auch bei Sagen kennt man den Verfasser nicht. Während Märchen nicht den Anspruch erheben, der Realität zu entsprechen, geben Sagen durch Verflechtung von wirklichen Ereignissen, Personen und Orten vor, eine Art Tatsachenbericht zu sein. Durch diese Details ist die Sage zeitlich und räumlich gebunden.
Beispiele für Sagen sind Der Fliegende Holländer oder Rübezahl
Fabeln. Durch Tiere lernen
Fabeln sind vor allem durch sprechende und handelnde Tiere und Pflanzen gekennzeichnet sowie durch einen Anspruch auf eine allgemeingültige, moralische Aussage („Und die Moral von der Geschicht…“). In Fabeln, die oft eher in Vers- als in Prosaform vorkommen, sind „Vorgänge und Figuren… nicht als solche wichtig“, sondern die praktische Bedeutung des Zusammenspiels aller Komponenten. Fabeln seien von vornherein daraufhin angelegt (3).
Beispiele für Fabeln sind z.B. Der Fuchs und der Rabe von Aesop und Reineke Fuchs. Außerdem gilt Animal Farm von George Orwell als Fabel.
Mythen. Von Göttern und Menschen

Butter bei die Fische, was ist mit Mythen? Die sind ja nun wirklich geprägt durch Übernatürliches, Wunder durch Eingreifen der Götter, usw. Genau da liegt der Hase im Pfeffer. Während im Märchen sterbliche Wesen, meistens Menschen, ein Abenteuer erleben und aus dem Diesseitigen ins Jenseitige gucken(4), spielen sich die Mythen schon in der übernatürlichen Welt ab bzw. Protagonisten sind unsterbliche oder zumindest übermenschliche Wesen. Am bekanntesten sind die Mythen der griechischen Götter und Halbgötter, z.B. Die Geburt von Athene oder der Sturz der Titanen. Übrigens werden die die Schöpfungsgeschichten in Genesis 1,1-2,4a und Genesis 2,4b-2,25 auch als Schöpfungsmythos bezeichnet.
(1) Heinz Rölleke, Die Märchen der Brüder Grimm. Eine Einführung, Reclam, S. 103.
(2) Max Lüthi, Märchen, J.B. Metzler Verlag, S. 7.
(3) Vgl. Lüthi, S. 12.
(4) Vgl. Lüthi, S. 13.
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