“Ich fahre dieses Jahr nach Ägypten. Meine Eltern haben mich wieder eingeladen.”
“Toll. Was machst du da? Rundreise?”
“Nee, sie wollte doch eine Nilfahrt machen.”
“Hauptsache nicht All Inclusive, das ist ja mal super langweilig. Und peinlich.”
“Genau, in Ägypten musst du Kultur mitnehmen. Bei so viel Geschichte!”
Mein Urlaub stand noch gar nicht richtig fest, und schon ergossen sich Erwartungen über mich, wie ich meine Erholungszeit am besten nutzen könnte. Aber nicht am besten für mich, sondern am besten, um aktuellen gesellschaftlichen Erwartungshaltungen eines erfüllten, ausgeschöpften Lebens zu erfüllen.
Optimierungsdrang der Gesellschaft
Ich weiß nicht, wann der krampfhafte Optimierungsdrang, der inzwischen in nahezu allen Bereichen unserer Gesellschaft um sich greift, auch den Urlaub vereinnahmt hat. Kinder sollen bitte im Kindergarten schon eine Fremdsprache lernen (Englisch? Langweilig. Mandarin bitteschön!), Mütter sollen mit Ratgebern endlich wieder mehr für sich tun können – damit sie wieder besser für Kinder und Ehemann funktionieren, von öffentlichen und wirtschaftlichen Bereichen ganz zu schweigen.
Nun also auch der Urlaub.
Urlaub früher und heute
Als ich noch ein Kind und später Teenager war, war Strandurlaub voll okay. Zwei, drei, vier Wochen nur am Strand liegen, Eis essen, lesen, dösen. Meine Großeltern wohnten damals in Spanien, weswegen wir uns das Hotel sparten, und mehr als ein, zwei Ausflüge in ein Bergdorf war als Kulturprogramm nicht drin. Und wenn wir heute keine Lust auf das Bergdorf hatten, was soll’s, dann eben morgen oder nächste Woche oder gar nicht. Wir aßen regelmäßig bei José, ab und zu liehen wir uns ein Tretboot, um weiter draußen schnorcheln zu können. Aber das war’s. Und niemand wäre damals auf die Idee gekommen zu sagen, dieser Urlaub sei langweilig oder peinlich. Er erfüllte das, was er sollte: wir waren erholt. Wir Kinder vermutlich mehr als unsere Eltern, aber wir machten uns keinen Stress, krampfhaft jeden Tag etwas anderes zu machen.
Meine Eltern, namentlich mein Vater und meine Stiefmutter, haben mich dieses Jahr wieder eingeladen, ansonsten könnte ich mir das gar nicht leisten. Drei Wochen Ägypten. Lieblingshotel. All Inclusive.
Ja, richtig gelesen, wir machen dieses peinliche “All In Ding”. Eine Zeit lang habe ich das etwas verschämt gesagt, zumal ich eigentlich auch sehr auf kulturelles, historisches Angebote stehe. Irgendwann ärgerte ich mich aber darüber, dass irgendwelche Backpfeifengesichter und Freunde, die sich wie eben jene verhielten, sich so abschätzig über meinen geplanten Urlaub äußerten und sich lustig machten. Es tat mir weh, denn ich wollte mich erholen, spürte aber schon, wie ich innerlich Listen machte mit Ideen, wie ich den Urlaub “aufwerten” könnte.
Urlaub muss Instagramfähig sein
Heute ist ein Urlaub wie in meiner Kindheit fast undenkbar. Urlaube müssen komplett durchgeplant, organisiert und vorbereitet sein. Bei einigen ist das auch durchaus notwendig, bei einer Alpenüberquerung bspw. oder expliziten Tauchtrips, aber beim Durchschnittsurlaub? Vor allem aber müssen sie eins sein: fototauglich für die Sozialen Medien.
Zur Zeit stehen sich zwei Imperative gegenüber: Nutze jede gottverdammte Minute des Urlaubs für socialmediafähige, wenigstens erzählwürdige Aktivitäten, die vor dir noch keine*r gemacht hat oder die zumindest den Urlaub deiner Kolleg*innen toppen. Aber erhol dich auch, Herrgottnochmal! RE.LA.XE!

Es entsteht eine Spannung, eine Stresssituation, die dem eigentlichen Sinn von Erholungsurlaub diametral gegenüber steht. Dieser Drang, auch den Urlaub zu optimieren, ist die katastrophale Auswirkung des Kapitalismus in den letzten privaten Bereich.
Schon wieder Kapitalismus?
Ja, schon wieder Kapitalismus. Woher kommt denn die Idee der Optimierung? Machen wir einen Schnelldurchlauf. Schon immer ging es darum, Arbeitsprozesse zu verbessern, Gewinne zu maximieren und die Ausgaben gering zu halten. Seit einigen Jahren, subjektiv geschätzt seit der Jahrtausendwende, geht es nun um Optimierung, also eine Steigerung von “verbessern”, und eigentlich ist es auch nur ein Euphemismus für Perfektionierung. Es ging irgendwann nicht mehr nur um Arbeitsprozesse, sondern auch (wie immer im Kapitalismus) um Gewinnmaximierung, Leistungssteigerung bei weniger Arbeiterschaft. Jobs waren bedroht, Arbeitnehmer*innen fürchteten um ihre Jobs. Durch den sich wandelnden Arbeitsmarkt wurde eine neue, gesteigerte Flexibilität verlangt, inzwischen ist sie Voraussetzung.

Um Arbeitgeber*innen und Qualitätsmanager*innen in Zeiten von (drohender) Wegrationalisierung zu zeigen, wie wertvoll man selbst für den Arbeitsplatz ist, wertvoller auf jeden Fall als der Kollege im Nachbarbüro, bitte lass den Kelch an mir vorübergehen, wurden außergewöhnliche Hobbys, überdurchschnittliches Engagement im Ehrenamt oder selbst finanzierte, in der Freizeit absolvierte Fortbildungen angegeben. Alles möglichst abgestimmt auf den Arbeitsplatz, damit man privat erlernte Fähigkeiten für das Unternehmen gewinnbringend einbringen kann. Man begann, weniger nach eigenen Interessen zu handeln sondern sich selbst für die Arbeitswelt zu optimieren. Damit aber auch das Privatleben nicht zu kurz kam, die sog. Work-Life-Balance, musste auch das Privatleben immer perfekter organisiert werden. Zeitmanagement, Optimierung erhielten Einzug ins Private. Das Private musste und muss immer perfekter werden. Katalogleben als ultimatives Lebensziel.
Und zusammen mit Social Media ergab sich eine rasante exponentielle Wechselwirkung.
Wieso Social Media
Social Media, vor allem Facebook und speziell Instagram, leben von der Zurschaustellung des eigenen Lebens in Bildern. Dass in der Regel nur der perfekte Ausschnitt aus diesem Leben gezeigt wird, wird häufig vergessen, und so wird das eigene (Er-)Leben mit allen Höhen und Tiefen nur mit den Höhen anderer, oft sogar Unbekannter verglichen. Wenn Reiseblogger in die entlegendsten Ecken des Globus fliegen und atemberaubende Fotos machen, die von allen gemocht und geliked werden – hier sei nochmal daran erinnert, dass Likes dieselben Hirnareale ansprechen wie Kokain und ähnliche Reaktionen verursachen, inkl. Suchtpotenzial – wollen wir das auch. Übersehen werden die 93 weiteren Fotos, die gemacht aber nicht gezeigt werden, die negativen oder anstrengenden Seiten, und auch die Nachbearbeitung, ob nun durch Grafikeinstellungen oder Filter, wodurch ein verzerrtes Bild wiedergegeben wird.
Wie kommt man nun auch an solche Bilder, ein vermeintlich interessantes Leben mit spannendem Alltag, außergewöhnlichen Hobbys, einer Wohnung wie aus dem Katalog und aufsehenerregendem Urlaub?
Ganz realistisch: Gar nicht. Problematisch bleibt, dass diese Zerrbilder einer ausgeschnittenen Realität der irreführende Maßstab für das eigene Leben bleiben. Und diesen Maßstab hat man nicht nur selbst verinnerlicht, sondern auch ein Großteil der Gesellschaft. Ständig muss man sich messen, wer das coolere Hobby, den gesündestes Lifestyle, die angesagteste Nonamemarke gefunden hat. Man reicht vielleicht nicht an die Influenzer und die Instagrambilder heran, aber im Freund*innen- und Kolleg*innenkreis lässt sich doch einiges toppen. So werden Aspekte des Privatlebens nicht mehr nach eigenen Bedürfnissen und Interessen gestaltet, sondern nach dem Wettbewerbsfaktor in der eigenen Peergroup.
Aber zu welchem Preis?
Urlaub wird zum Wettbewerb
Wenn es schon ein schnöder Strandurlaub sein muss, dann aber an einer entlegenen, “exotischen” Gegend. Natürlich mit täglichen Strandfotos, Essenfotos, Cocktailfotos. Und natürlich muss auch die letzte Erholung aus jeder einzelnen Minute gepresst werden. Da ist er wieder, der Imperativ.
Erhol dich, aber erhole dich besser, individueller, ausgefallener als alle anderen. Und wenn dich das stresst, machst du etwas falsch.

Mir erging es nicht anders. Ich packte kurzerhand jede Menge Bücher ein (keine Überraschung), mein Schnorchelzeug (Standard für Ägypten), und mein Zeichenkrams (unzählige Blöcke und Sketchbooks in unterschiedlichen Größen, Aquarellfarben, Stiftekasten…). Natürlich mit dem Vorsatz, alles sehr viel zu nutzen, schlafen kann ich ja auch zu Hause, die Zeit in Ägypten muss genutzt werden! Du musst beweisen, dass du auch in einem All Inclusive Urlaub geile Sachen machen kannst, sonst bist du der Witz des Büros.
Nachdem mich das aber nach einigen Tagen wirklich anstrengte und ich merkte, dass ich gar nicht erst richtig in den Urlaubsmodus kam sondern meinen Stresspegel von zu Hause aufrecht erhielt, zog ich bzw. mein Körper die Notbremse. Ich schlief auf einmal ganze Nachmittage, nix Pool oder Schnorcheln oder Zeichnen. Das schlechte Gewissen ist immer noch da. Ich verpasse ja Möglichkeiten, etwas richtig Außergewöhnliches zu machen oder zu sehen.
Aber ich bin einfach so erschöpft. Ich schrieb jemandem, ich wüsste gar nicht, woher dieses intensive Schlafbedürfnis komme. Sie meinte, die Anspannung der letzten Wochen würde abfallen, das sei gut. Der Urlaub zeige Wirkung.
Recht hat sie.
Und so langsam lässt mich auch dieser leidige Wettbewerbsgedanke und der Optimierungsdrang nach.
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