Titel: The Vegetarian | Autorin: Han Kan
Worum geht’s?
Yeong-Hye wird von heute auf morgen Vegetarierin. Ihr Ehemann, Chong, heiratete sie, weil sie seiner Meinung nach absolut durchschnittlich war – und er wollte nichts außergewöhnliches. Nur Durchschnitt und Leidenschaftslosigkeit. Nun verzichtet Yeong-Hye auf Fleisch und alle anderen Tierprodukte, und auch ihr Ehemann bekommt zu Hause nur noch vegane Kost. Er ist von Anfang an nicht sonderlich angetan vom neuen Spleen seiner Frau, muss jedoch bald merken, dass es mehr ist. Bei einem Familientreffen kommt es zum Eklat, als Familienmitglieder Yeong-Hye zwingen wollen, Fleisch zu essen. Doch Yeong-Hyes Ernährungsumstellung ist nur Symptom für etwas viel tiefliegenderes.
Wie war’s?
Die Vegetarierin (eigentlich ein falsch gewählter Titel, da Yeong-Hye sich vegan ernährt) gehört zu den Büchern, bei denen ich anfangs nicht weiß, was ich von ihnen halten soll. Ähnlich ging es mir mit Earhtlings von Sayaka Murata.
Das Buch ist in drei Teile gegliedert, die von jeweils anderen Familienmitgliedern erzählt werden. Yeong-Hye, die eigentliche Protagonistin, kommt nur im ersten Teil, den ihr Mann erzählt, wenige Mal zu Wort, und auch dort erfährt man nichts über sie selbst, nur über ihre Träume. Der zweite Abschnitt wird von Yeong-Hyes Schwager, der dritte von ihrer Schwester In-Hye erzählt, der einzigen, die zu ihr hält. Es ist interessant, dass man über die Person, um die es im Gesamten Buch geht, trotz mehrfacher Perspektivwecchsel bis auf die wenigen Ausnahmen am Anfang nichts aus ihrer Sicht erfährt. Es berichten immer ander über sie, andere interpretieren Yeong-Hyes Verhalten und ziehen daraus ihre Schlüsse. Was zuerst seltsam anmuten mag unterstreicht am Ende die Sprach- und Machtlosigkeit Yeong-Hyes, die vor allem zwischen den Erwartungen und Ausnutzungen der Männer in diesem Buch hin und her gespielt wird.

Kein einziger Mann in diesem Buch kommt gut weg, viellicht mit Ausnahm eines Arztes am Ende des Buches – der spielt aber auch keine große Rolle, der ist einfach da.
Spoiler
Der erste, Yeong-Hye Ehemann, ist gefühllos, egoistisch und egozentrisch. Er hat sie im Grunde nur geheiratet, um ein funktionierendes Eheweib zu haben, keine Persönlichkeit an seiner Seite. Er schreckt auch vor sexualisierter Gewalt in der Ehe nicht zurück. Der zweite Mann ist Yeong-Hyes Schwager, der Mann ihrer Schwester In-Hye. Er hat seine Frau wegen der finanziellen Sicherheit geheiratet, nicht aus Liebe. Er nutzt Yeong-Hyes psychischen Zustand aus, hat Sex mit ihr und filmt sich dabei. Yeong-Hyes Vater ist ein autoritärer Patriarch, der seine Tochter schon als Kind misshandelt hat und auch im Erwachsenenalter noch Gebrauch davon macht. Der Bruder der beiden Schwestern kommt nur kurz vor, soll aber nach dem Vater kommen, und stellt das bei seinem kurzen Auftritt eindrucksvoll unter Beweis.
Die Familie ist ingesamt dysfunktional, es scheint nicht weiter verwunderlich, was mit Yeong-Hye geschieht. Dennoch ist man als Leser*in zwischendurch immer wieder sprachlos. Wie die Familie miteinander umgeht, speziell mit Yeong-Hye. Wie ihr Mann sie wahrnimmt, wie ihr Schwager sie wahrnimmt und seine Ehefrau, ihre Schwester, behandelt. Und doch kann man die ganze Zeit über nicht greifen, was mit Yeong-Hye los ist. Man hat vielleicht Vermutungen, aber keine handfesten Hinweise.
Die Vegetarierin ließ mich als Leserin etwas ratlos zurück. Zwar war am Ende klar geworden, warum Yeong-Hye handelt wie sie handelt, aber viele der anderen Konflikte waren nicht ansatzweise gelöst. Vielleicht ist man, bin ich es inzwischen zu sehr gewöhnt, dass ein Ende immer auch alle Konflikte beschließt, Hollywood lässt grüßen. So nun wirkt das Buch wie die Begleitung eines Lebensabschnitts einiger miteinander verbundene Menschen.
Die Vegetarierin zu bewerten fällt mir demnach vermutlich ob meiner Gewohnheit von alles umfassenden Enden und Aufklärungen recht schwer. Ich schwanke zwischen 2 und 4 Sternen, und kann mich auch nach einigen Wochen nicht zu einer endgültigen Bewertung entschließen.