Titel: Wem gehört der Islam? Plädoyer eines Imams gegen das Schwarz-Weiß-Denken (Affiliate Link)
Autor: Abdul Adhim Kamouss | Verlag: dtv
Worum geht’s?
Abdul Adhim Kamouss kam mit Anfang 20 nach Deutschland und wurde über Umwege Imam – und wurde vom Verfassungsschutz überwacht, da er als Durchläufer zur Radikalisierung galt. Erst wies er diese Vorwürfe von sich, später erkannte er, dass er, ohne es zu wollen, tatsächlich eine Art Durchlaufstation war. Diese Erkenntnis stürzte ihn in eine theologische Krise und er begann seine eigenen Sichtweisen, seinen Glauben und das, was er predigte, zu reflektieren. Er beschäftigte sich wieder eingehend mit verschiedenen Theologischen Strömungen, suchte Rat bei Sheiks und merkte so, dass er zu einseitig und nicht umfassend den Islam gelehrt hatte.
In seinem Buch Wem gehört der Islam beschreibt er seinen Werdegang als gläubiger Muslim und Prediger, wie ihn die Salafiyya prägte und bis heute wichtig ist, und wie sich seine Überzeugungen und Ansichten wandelten. Nur sein Glaube, der blieb unerschütterlich.
Wie war’s?
Es ist unglaublich spannend, die in Deutschland vorherrschende Sicht auf den Islam aus der Perspektive eines Imams zu lesen, der vor einigen Jahren noch als „Gehirnwäscher“ bekannt war, oder, wie im Klappentext steht, als „Popstar der salafistischen Szene“.
Einer meiner Schwerpunkte zu Beginn meines Studiums war der Islam, der Dialog und Austausch zwischen Christentum und Islam, und ich dachte, ich hätte ein ganz gutes Bild. Falsch gedacht. Ich habe durch Kamouss‘ Buch sehr viel Neues gelernt. Ein Beispiel: Ihr denkt, es gibt „den Salafismus“? Falsch gedacht. Innerhalb der Salafiyya gibt es einige verschiedene Strömungen, die je nach Ausprägung eben radikal und modernitätsfeindlich sind, während andere sehr aufgeschlossen sind. Wusstet ihr nicht? Ich auch nicht.
Kamouss geht die ganze Sache sehr selbstkritisch an und analysiert auch, warum ausgerechnet er in das Visier des Verfassungsschutzes kam, was er zu dem Zeitpunkt nicht verstand:
„Bis 2010 konnte ich nicht nachvollziehen, warum man mich dennoch als Brücke zur Radikalisierung einstufte, und fühlte mich zu Unrecht verurteilt. Dass einige meiner Zuhörer sich radikalisierten, konnte man mir doch nicht anlasten … Zwar bin ich in der salafistischen Schule groß geworden und habe viel von ihrem Denken übernommen, doch habe ich mich selbst nie als Salafist bezeichnet oder in diese Schablone eingeordnet. Ich predigte, insbesondere ab dem Jahr 2008, betont und wiederholt Frieden und Milde; ich rief meine Zuhörer auf, das deutsche Gesetz und die Gesetzgebung zu respektieren; ich verurteilte ständig den Terror…mein Diskurs [mit der Mehrheitsgesellschaft] war trotz der Einflüsse der Salafiyya-Schule meist gemäßigt und weltoffen.“ (S. 106)
Inzwischen hat er festgestellt, dass er den Islam nur auszugsweise gepredigt hat, kontroverse Themen z.B. ausgespart oder nur oberflächlich behandelte. Während seine Einstellung schon vorher für eine friedliche Glaubensausübung und gegen Terror und Radikalisierung war, setzt Kamouss sich heute nicht nur in seinen Predigten noch deutlicher dafür ein, sondern hat auch die Stiftung „Islam in Deutschland“ gegründet, die sich für die Integration einsetzt (aber nicht für Assimilierung).
Wer sich mehr über den Islam informieren oder wissen möchte, was es eigentlich mit Radikalisierung auf sich hat, welche Lösungsansätze Kamouss präsentiert und wie man die vielleicht umsetzen kann, ist bei Wem gehört der Islam an der richtigen Adresse.
Meet & Greet auf der Frankfurter Buchmesse 2018
Der dtv lud mich zu einem Meet & Greet mit Herrn Kamouss ein. Ich war sehr neugierig, wie es werden würde, wie viele zu dem Treffen kamen und vor allem war ich neugierig auf Kamouss selbst.
Insgesamt waren zwar „nur“ drei Bolgger_innen da, aber das Gespräch mit Herrn Kamouss war spannend, witzig und leider viel zu schnell vorbei. Wir unterhielten uns darüber, dass der Islam anders behandelt wird als das Christentum (Anschlag eines Muslims: distanziert euch!; Anschlag eines Christen: Bedauerlicher Einzelfall und nicht unser Problem), über Islamophobie und Rassismus im Alltag, und über die Talkshow, zu der Herr Kamouss am gleichen Abend in Österreich eingeladen war – zusammen mit Thilo Sarrazin. Bedauerlicherweise war ich abends dann doch zu erschöpft, mir die Show anzuschauen. Leider.
Trotzdem fand ich das Treffen sehr bereichernd, zumal Kamouss und ich aus einer ähnlichen Ecke, wenn auch aus verschiedenen Religionen kommen: wir sind beide Theologen und bestehen darauf, die jeweilige Heilige Schrift im Kontext zu sehen, eine Exegese zu betreiben und sind strikt dagegen, sich einzelne Verse herauszupicken und aus dem Kontext zu reißen, damit sie besser in die eigene Agenda passen.
Ich hoffe, dass ich Abdul A. Kamouss häufiger über den Weg laufe, ob nun persönlich oder in den Medien.