Im Dezember 1943 wurde Primo Levi von deutschen Milizen in den italienischen Bergen festgenommen und im Februar 1944 vom Übergangslager Fossoli nach Auschwitz deportiert. Hier wurde er nicht den Gaskammern zugeteilt sondern den Arbeitskommandos der Buna-Werke in Auschwitz. Zunächst einfacher Zwangsarbeiter, wird er später aufgrund seines Doktorgrades in Chemie dem Chemie-Kommando zugeteilt und arbeitet im Labor. Dieser Umstand rettete ihm vermutlich das Leben, wie auch einige andere Zufälle, und so gehörte Primo Levi zu den 1945 befreiten Juden von Auschwitz. In Ist das ein Mensch schreibt Levi vom Leben als Zwangsarbeiter in Auschwitz.
In vielen Rezensionen und Besprechungen findet man vor allem die Notiz, Levi schreibe nüchtern, objektiv, ohne jegliche Schuldzuweisung. Das mag stimmen, allerdings verleitet diese Beschreibung zu dem Glauben, es sei ein emotionsloser Bericht. Das ist dieses Buch ganz und gar nicht. Nicht nur in der direkten Sprache, auch zwischen den Zeilen macht Levi immer wieder deutlich, welchen Zuständen er und seine Mitgfangenen ausgeliefert waren, wie nah man der Verzweiflung war und wie schmal der Grat zwischen dahinvegetieren (aber immerhin leben) und Tod ist. Vor allem macht er die “zweifache Bedeutung des Wortes ‘Vernichtungslager'” (S. 25) deutlich. Vor der Vernichtung durch den Tod steht die Vernichtung des Menschen an sich. Man darf seine Kleidung nicht behalten, keine Fotos oder anderes, das einen an sein früheres Leben erinnert. Zuguterletzt wird einem der Name genommen und durch eine Nummer ersetzt, die endgültige Auslöschung der Persönlichkeit.
“Nun denke man sich einen Menschen, dem man, zusammen mit seinen Lieben, auch sein Heim, seine Gewohnheiten, seine Kleidung und schließlich alles, buchstäblich alles nimmt, was er besitzt: Er wird leer sein, beschränkt auf Leid und Notdurft und verlustig seiner Würde und seines Urteilsvermögens, nn r alles verloren hat, verliert auch leicht sich selbst.” (S. 25)
Neben solchen philosophischen Überlegungen zur Menschenwürde und was ein Mensch ist, berichtet Levi auch von den Lebenszuständen (man kann das nicht mehr “Umstände” nennen), in denen er mit den anderen Männern dahinvegetierte, von der Hierarchie zwischen den Häftlingsgruppen, an deren unterem Ende immer die Juden standen, von der Arbeit, Kranksein, das Leben von Minute zu Minute, Stunde zu Stunde, Tag zu Tag.
Als ich dieses Buch las, brach gerade wieder der Winter über Hamburg herein, die Temperaturen waren um en Gefrierpunkt oder drunter, und in meiner dicken Jacke, dem Schal und Handschuhen frohr ich schrecklich. Außerdem war ich hundemüde, ich schlief schlecht, und in manchen Momenten wusste ich nicht, wie ich den Tag überstehen sollte. Dann las ich Levis Bericht weiter – und mir wurden zwei Dinge bewusst. Zum einen bin ich mir sehr sicher, dass ich ein KZ nicht überlebt hätte, denn das, was Levi beschreibt, scheint mir unerträglich. Wenn ich in meiner dicken Winterkleidung schon friere, wie wäre es mir dann erst in den dünnen Fetzen, die sich Häftlingskleidung schimpfte, bei weitaus niedrigeren Temperaturen ergangen? Zum anderen wuchs meine Bewunderung für die Überlebenden der Konzentrationslager von Seite zu Seite. Dass diese sich angesichts dieser täglichen Erniedrigung und Entwürdigung, angesichts dieser vernichtenden und des Schlafes, der auch keine Linderung bringt, nicht der Hoffnungslosigkeit ergeben haben zeugt für mich von einer Stärke, die ich nur bewundern kann. Das bedeutet übrigens nicht, dass ich die Menschen, die in den Lagern auf verschiedenste Arten umkamen, für geringer erachte, ganz im Gegenteil. Allerdings führt Levis Bericht wie kein anderer, den ich gelesen habe, die erbärmlichen Behandlungen durch die Deutschen vor Augen, und das zu überleben grenzt an ein Wunder.
Ich habe bereits viele (auto)biografische Bücher von Überlebenden gelesen, und so bewegend wie sie waren, erscheint mir keinen so wichtig und eindringlich wie Ist das ein Mensch? Von Primo Levi. Auf 165 Seiten beschreibt er die Monate in Auschwitz so eindringlich und dicht, dass es einem noch lange beschäftigt. Was mich außerdem sehr beeindruckt hat: an keiner Stelle kommt ein Hass Levis gegenüber den Deutschen zum Ausdruck, in diesem Fall trifft die Beschribung anderer Besprechungen der “nüchternen Betrachtungsweise” zu.
Einziger Wehrmutstropfen: es wird oft Französisch gesprochen und nicht übersetzt. Hier hätte ich mir Fußnoten gewünscht, da meine rudimentären Kenntnisse der Sprache mehr als eingerostet sind. Das ist allerdings mehr eine Notiz an den Übersetzer/Verlag als an das Werk an sich.
Eine tolle Rezension, das Buch sollte ich mir wirklich mal genauer anschauen. Allerdings sind meine Französischkentnnisse so gut wie nicht vorhanden. Reden sie denn viel Französisch? Versteht man zumindest etwas aus dem Zusammemhang?
Ahoi Julia!
Sagen wir so: ich habe aus dem Zusammenhang nichts verstanden, aber das, was auf Französisch gesagt wird, ist nicht relevant um den Rest zu verstehen. Und es ist auch nicht viel, du kannst es also ruhig lesen 🙂
Cheerio
Mareike