AfD-Wahlauftakt in Hamburg. Ein Erfahrungsbericht

AfD-Wahlauftakt in Hamburg. Ein Erfahrungsbericht

Triggerwarnung, speziell im 2. Teil des Textes (durch Zitate):
Rassismus, Sexismus, Islamophobie, sonstige menschenverachtenden Aussagen

1. Der Vorlauf
Am Samstag (10.1.) lud das Hamburger Bündnis Gegen Rechts zu einer Veranstaltung in die Druckerei im Gängeviertel, um die AfD und ihr Parteiprogramm pünktlich zum Wahlkampfauftakt in Hamburg, der nur wenige Stunden später gegenüber dem Gängeviertel stattfand, kritisch zu analysieren.
Die Druckerei war kurz vor offiziellem Veranstaltungsbeginn schon so voll, dass die nachkommenden Gäste in Nebenräumen platznehmen mussten, in die eine Audio-Liveschaltung des Vortrages gelegt worden war. Informativ war es auf jeden Fall. Klar, das Wenigste war für die meisten neu, die Inhalte dieser Partei und die Äußerungen ihrer Mitglieder und Anhänger allerdings so zusammengefasst und geballt zu sehen war dennoch etwas schockierend. Doch während man diese Informationen in der Druckerei bestenfalls noch belächelte, konnte man sich kurz darauf im Emperio Tower das ganze Ausmaß live und Farbe ansehen.

Eigentlich wollte ich nach Hause, mir war kalt, ich war müde… allerdings entschloss ich mich kurzfristig mit ein paar anderen, zu versuchen, auf die AfD-Veranstaltung zu kommen. Im Gängeviertel wurde gesagt, dass zugesichert wurde, die Veranstaltung sei öffentlich, auch für Menschen die eher links oder alternativ aussehen würden. Gesagt, getan. Erste Hürde war die massive Polizeikette. Keine Ahnung, was die bei dem Aufgebot erwartet haben. Wir wurden gefragt, wohin wir wollten. „Zur AfD-Veranstaltung.“ „Mit welchem Hintergrund?“ „Hallo? Es sind bald Wahlen. Wir wollen uns informieren.“ „Gut, ich lasse Sie durch, kann aber nicht garantieren, dass der hauseigene Sicherheitsdienst Sie rein lässt.“
Also zur nächsten Hürde. Der Sicherheitsdienst kontrollierte unsere Taschen, Jacken und man musste seine Getränkeflaschen draußen lassen. Als mir auffiel, dass andere Gäste, die zugegebener Maßen eher aussahen wie eine Boutique-Besitzerin aus Pöseldorf nebst Gatten, ohne Taschenkontrolle durch gelassen wurden, baute sich ein Parteifunktionär vor mir auf (dritte Hürde). Er erklärte mir, 4cm von meinem Gesicht entfernt, dass er es zwar schön fände, dass wir da seien, und er angeregte Diskussionen sehr liebe (schließlich sei er Professor), er aber sofort vom Hausrecht Gebrauch machen würde, wenn wir stören sollten.

Schließlich im großen Saal, Plätze suchen, unverhohlen begafft werden… Alles dabei. Von drei, vier Personen wurden wir sogar angesprochen, ob wir denn wirklich AfD-Sympathisanten seien, wir, speziell ich, würden gar nicht danach aussehen. Das war noch das Witzigste Erlebnis, denn so langsam ging es rund. Erstaunlicher Weise ließ die AfD viele alternativ aussehende Menschen herein, zeitweise gab es mehr von ihnen als AfD-Anhänger. Übrigens haben wir den Altersdurchschnitt deutlich gesenkt, wohin man schaute graues Haar. An dem Bild eines Altherren-Vereins konnte auch die Beteuerung eines Parteimitgliedes Ende 30 nicht ändern, dass die AfD „…tatsächlich eine sehr junge Partei“ sei, und man das – achje, achje – ausgerechnet heute nicht sehen könne. Irgendwann setzten wir uns. Bevor der erste Redner die Bühne betrat, gab es noch die Ansage, dass alle, die keinen Sitzplatz hätten, nun bitte den Saal verlassen sollten. Aus Feuerschutzgründen. Ob das wirklich der Grund war, kann ich nicht sagen, aber selbst wenn: da sämtliche aus dem Saal gebetenen Gäste Linke/Alternative waren, fiel der AfD diese Begründung quasi in den Schoß.

2. Die Rede Jörn Kruses. „Was können Sie tun? Sie können AfD wählen.“
[Die Rede ist per Handy mitgeschnitten worden]

Jörn Kruse, Spitzenkandidat der AfD für die Bürgerschaftswahl, geht ans Rednerpult – und gibt binnen 25 Minuten derartig viele Rassismen, Sexismen, menschenverachtende und islamophobe Aussagen von sich, mir stand der Mund offen und meiner Sitznachbarin der Brechreiz im Gesicht. Beispiele gefällig?
Zu den Pariser Vorfällen:

„…aber nach dem Terroranschlag von Paris, der mich außerordentlich bewegt hat, kann ich heute nicht sprechen über Busbeschleunigung, Elbvertiefung und Schulleistungszentren. Warum hat mich das so sehr bewegt? Weil ich so etwas befürchtet habe. Ich wusste nicht wo und wann, aber ich habe die große Befürchtung immer gehabt, dass etwas furchtbares irgendwo bei uns hier, und Paris ist für mich genauso wie Hamburg, gehört zur gleichen Wertegemeinschaft, passieren würde. Und leider ist es viel früher passiert, als ich gehofft habe…. Oder als ich [grinsen] als ich erwartet habe.“

Ja, es war scheinbar ein Versprecher. Allerdings einer, den er erst nach einem fetten grinsen Korrigiert hat, und den einige AfD-Anhänger mit Klatschen quittierten.

Weitere Aussagen waren:

„Wahre Staatsmänner, oder Staatsfrauen, wenn es dieses Wort gibt…“

Was sind denn Politikerinnen, grade in Staatsführenden Positionen? Oder können nur Männer das, was Herr Kruse sich unter “Staatsmännertum” versteht, nämlich unliebsame Entscheidungen fällen?

„…das Problem der Linksradikalen…“

Kein Wort über Rechtsradikale, ausschließlich Linke wurden hier, auch im Zusammenhang mit möglichen Terroranschlägen kriminalisiert. Auch im ausliegenden Flyer, in dem 11 Punkte des Wahlprograms knapp dargestellt werden, heißt es unter Punkt 11: “Keine rechtsfreien Räume für politische Extremisten. Der Verfassungsschutz lokalisiert Hamburg als Hochburg linker Gewalttäter. Warum haben REchtsbrecher von “Autonomen” über den “Schwarzen Block” bis zur militanten Antifa so viel Freiraum für Gewalt? Seit den 80ern unterstützten Senat und Alt-Parteien solche “Szenen”, päppeln Rechtsbrecher (“Hausbesetzer”) zu “Hausbesitzern”.” Auch der letzte Satz zu diesem Punkt, dass man die Bekämpfung des Extremismusses jeglicher Richtung bekämpfen wollte, ändert nichts an dem eindeutig anti-linken Schwerpunkt dieser Partei

„ich glaube aber viele Terroranschläge könnten dadurch [Vorratsdatenspeicherung und verstärkte Überwachung durch die Polizei] verhindert werden. Noch wichtiger ist die längerfristige Version. Die Integration von Zuwanderern in unserer Gesellschaft. Die Integration von Zuwanderung bedeutet eine geringere Terrorgefahr von dieser Seite. Hierfür ein fatales Beispiel sind die vier M: 1. Männlich, 2. Migrant, 3. Moslem, 3. [eigentlich 4.] Misserfolg….“

„[Migranten] sind auch von Natur aus nicht dümmer als die Mehrheit der Gesellschaft.“

– Oh wow, das musst du deinen Anhängern noch explizit erklären? Rassismustheorie des 19. und 20. Jahrhunderts immer noch hart verinnerlicht, was? Wobei, bei dem Altersdurchschnitt, der da Vertreten war…fast wie früher, gell?

„Viele bürgerliche Eltern aus der, sag ich mal, ursprünglichen deutschen Bevölkerung wollen ihre Kinder in den ersten Jahren selbst erziehen. Viele von ihnen können es sicher auch ganz gut. Für Migrantenfamilien, insbesondere aus bestimmten Kulturkreisen, gilt das nicht.“

Ich möchte an dieser Stelle gerne einmal wissen, was der Mann unter “ursprünglich deutsch” versteht, aber davon mal ab: hat er “nicht-deutschen” Familien die Fähigkeit abgesprochen, ihre Kinder gut zu erziehen? Wie gut, dass ich gerade einen Eimer neben mir habe…

„Integration kommt nicht auf dem Silbertablett. Ihr müsst es selbst wollen. Wenn ihr es verweigert, zum Beispiel in Paralellgesellschaften bleibt, bekommt ihr Probleme. Auch eure Kinder. Wollt ihr das?“

Davon, dass Integration wenn aber nur von zwei Seiten aus funktionieren kann, sagt er nichts. Aber heeey, laut Kruse haben “wir” ja in Deutschland eine „…Willkommenskultur für Flüchtlinge aus anderen Ländern.“ Ach ja? Ich habe von dem Integrationswillen der Deutschen in den letzten Jahren realtiv wenig gesprüt. Sei es in Hellersdorf, Pöseldorf oder Bergedorf, überall heißt es: “Flüchtlinge? Klar. Aber nicht hier. Die passen hier nicht her!”

„Lehrerinnen sollten in der Schule kein Kopftuch tragen… für mich das Kopftuch, und viel mehr noch alle Formen der Ganzkörperverschleierung, erstens ein Symbol der Integrationsverweigerung [tosender Applaus], und zweitens [ein Symbol] für den Frauenhass im Islam… Was in manchen Männerhirnen schief gelaufen ist, dass sie ihre Frauen und Töchter zwingen, als schwarze Monster durch die Gegend zu laufen…ich bin für ein Burkaverbot.“

Kurze Frage: sind dann katholische Nonnen im schwarzem Habit auch schwarze Monster? Von denen sehe ich auch nur das Gesicht, sie haben keine andere Kleiderwahl…

Wir waren fassungslos. Fast noch schlimmer als diese Rede waren der tosende Applaus, den es zuweilen gab, die Standing Ovations und die zustimmenden Rufe. Die Parteivertreter können sich noch so maßvoll geben (was ihnen ja eh keiner glaubt), ihre Anhängerschaft zeichnet ein ganz anderes Bild, nämlich das, von dem sie sich angeblich so gerne distanzieren wollen.

3. Pressefreiheit gilt nur für bestimmte Presse.
Während des Vortrages wurden wir schon mehrmals von einem Mann in langem, schwarzem Ledermantel und Regenschirm bedrängt. Er schlich hinter uns rum, raunte uns Drohungen zu, von denen die harmloseste noch „Ein Trupp für euch ist schon unterwegs“ war. Selbst als wir ihn baten, doch bitte ein, zwei Schritte zurückzutreten, grinste er nur selbstgefällig. Auf der anderen Seite des Saals schien es das erste Mal zu Diskussionen zwischen dem Veranstalter und den Vertretern von Gängeviertel-TV zu kommen. Nachdem sie auf unsere Seite gewechselt hatten, ging es richtig rund. Sie wurden vom Ledermantel bedrängt, angeblafft, bedroht. Der Veranstalter versuchte zu schlichten und meinte, er würde das regeln. Der erste Grund, den ich mitbekommen hatte, war, dass der Fotograf des Duos angeblich Einzelpersonen fotografiert hatte. Das hatten allerdings auch andere Pressevertreter getan. Der nächste Grund, der angebracht wurde, war das Fehlen eines Presseausweises. Während der Diskussion kamen immer mehr andere Pressevertreter hinzu, fotografierten und dokumentierten. Eine Zuschauerin stand auf und rief Olaf Henkel, der gerade mit seiner Rede dran war, zu: „Verstehen sie DAS unter Pressefreiheit? Dass sie wahllos Presse rauswerfen lassen?“ Diese Frau, die man äußerlich eher nicht dem linken Spektrum zuordnen würde, hat sich weiterhin sehr eingesetzt, ist auch zum Ledermantel hin, usw., was mich sehr überrascht hat. Interessanterweise gab es einiges zustimmendes Murmeln aus den Reihen der AfDler. Allerdings ließ das Klischee nicht lange auf sich warten. Als schließlich acht Polizisten (!!) in den Saal kamen, um den Fotografen abzuführen (inkl. Arm auf dem Rücken und Kopf runter drücken, obwohl er nicht gewalttätig war), und wir uns lautstark empörten, meinte ein alter Mann vor uns um die 70, wir sollten gefälligst die Klappe halten. „Haben Sie schon mal was von Pressefreiheit gehört?“, woraufhin er abfällig entgegnete: „Pressefreiheit…pff…“, und abwinkte. Leider hatten wir alle in dem Moment unsere Kameras bzw. Mikrofone noch nicht an, deswegen haben wir hierfpr leider keinen Ton- oder Bildbeweis.
Wir verließen aus Solidarität mit Gängeviertel-TV den Saal, trafen draußen auf herablassend grinsende AfD-Sympathisanten, die uns zuriefen: „Endlich raus mit der Lügenpresse. Wird auch Zeit.“
Ich und eine weitere Frau aus der Gruppe warteten beim Polizei-Mob, der den Fotografen in seiner Mitte hatte, wurden aber mit drei Polizisten hinter die Absperrung geführt, da wir keine Presse waren und das ganze mehr oder weniger gefilmt hatten.

Wir waren alle nachhaltig erschüttert von dem, was sich uns geboten hatte. Das Reinkommen war noch verhältnismäßig amüsant, man kennt das ja. Aber eine derartige Anti-Rede, so ein Behandeln von unliebsamer Presse… Und sowas stützt sich auf die Pressefreiheit, sowas nennt sich demokratische Partei. Aber wer Protestlern unterstellt, sie wüssten nicht was sie tun und seien Verführte (Jörn Kruse), der muss sich eben alles zurecht biegen, damit er seine eigenen menschenverachtenden Aussagen selbst glauben und am nächsten Tag seinen Mitmenschen noch in die Augen schauen kann.

In diesem Sinne:
No AfD!

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